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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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sofort entscheiden«, sagte Wolfgang, »Sie können ihn auch für einen Tag mitnehmen und zurückbringen, falls er Ihnen nicht gefällt.«
    Wolfgangs Boss nickte mir zu, und ich nickte zurück.
    »Sie waren schon einmal hier, nicht wahr?«, forschte er.
    »Ja. Meine kleine Tochter wünscht sich einen Hund. Aber ich weiß nicht so recht. Vielleicht sollten wir doch einen Welpen nehmen.«
    »Die hier werden Ihnen ewig dankbar sein, falls Sie einen von ihnen adoptieren.« Er machte eine kreisende Handbewegung und stockte, als er Wolfgangs Atem roch. Einen Moment lang kaute er an dem fälligen Kommentar. »Geben Sie sich einen Ruck!«
    »Ich werde noch einmal mit meiner Tochter sprechen«, versprach ich.
    Bis zu meinem nächsten Einsatz hatte ich ein paar Stunden Zeit, und ich beschloss, eine längere Mittagspause einzulegen. Dazu fuhr ich nach Hause, soweit man ein spartanisch eingerichtetes, zwölf Quadratmeter großes Mansardenzimmer sein Zuhause nennen kann. Immerhin, es gab keinen Grund zum Meckern, da mich Sigi in ihrem Gästezimmer mietfrei wohnen ließ. Als Gegenleistung für diese selbstlose Geste ging ich jedem Disput mit ihrem nervigen Schriftstellerfreund Fred aus dem Wege. Etwas, das meine gesamte Selbstbeherrschung verlangte.
    Sigi war einmal meine Sekretärin gewesen, vor langer Zeit, als ich noch an Münsters Erster Adresse logierte. Damals, in meinem Prinzipalmarkt-Büro, hatten sich die feinen Klienten die Klinke in die Hand gegeben. Aber das war Schnee von gestern. Nach einem schweren Schicksalsschlag hatte ich Sigi das Geschäft überlassen und privatisiert. Und dann kam die Geschichte vom Millionär zum Tellerwäscher: Ich brauchte meine Reserven auf, die Kirche betrog mich um ein fünfstelliges Honorar, der Rechtsstaat fing mich in seinem Paragrafennetz, mein Vermieter warf mich aus der geräumigen Altbauwohnung im Kreuzviertel. Vor dem ganz freien Fall ins soziale Elend bewahrte mich Sigi mit dem Zimmer unter dem Dach ihres Häuschens im Südviertel.
    Ich parkte die Ente auf der Geiststraße und ging durch die Toreinfahrt. Sigis Häuschen war ein Hinterhaus, durch einen klotzigen Mietwohnungsbau vor dem Verkehrslärm geschützt. Sigi arbeitete im Garten, ein vier mal fünf Meter großer Streifzug durch die mitteleuropäische Pflanzenwelt. Die Rasenfläche in der Mitte reichte gerade für einen Liegestuhl. Auf dem Liegestuhl lag Fred. Ich vermutete, dass er an einem neuen Werk arbeitete, denn er hatte die Augen geschlossen und einen irgendwie durchgeistigten Gesichtsausdruck.
    »Hallo!«, sagte ich.
    Fred öffnete die Augen und sah durch mich hindurch.
    »Schon wieder da?«, fragte Sigi.
    »Ja«, antwortete ich.
    Sigi wischte die Hände an einem Tuch ab und zog mich aus dem Garten. »Ich muss mit dir reden.«
    »Nur zu«, ermunterte ich sie.
    »Lass uns in die Küche gehen und einen Kaffee trinken.«
    Das klang alarmierend. Die Vision eines Feldbettes in meinem Büro, auf dem ich zu Discoklängen die Nächte verbrachte, blitzte in meinem Gehirn auf.
    Wir setzten uns an den massiven Holztisch. Sigi guckte in ihren Kaffee.
    »Fred ist in einer Krise.«
    »Das sieht man.«
    Sie strafte mich mit einem Funkeln ihrer braunen Augen. »Er kommt mit seinem neuen Buch nicht weiter.«
    »Ist es nicht sein erstes Buch?«
    »Du bist unfair. Er hat schon Texte veröffentlicht.«
    »Gedichte, nicht wahr? Ich glaube, sie standen in der Bäckerblume.«
    »Im Kerker, das ist eine Literaturzeitschrift. Egal.« Sigi seufzte. »Auf jeden Fall hat Fred sehr hohe Ansprüche. Er will so etwas wie den Roman der Neunzigerjahre schreiben.«
    »Du meinst, wie die Blechtrommel von Günter Grass oder den Zauberberg von Thomas Mann?«
    »Er würde das nie sagen, aber ...«
    »Dann verstehe ich, dass er in einer Krise ist. Ich will mich ja nicht einmischen, aber vielleicht könntest du ihm klarmachen, dass er erst mal mittelmäßig anfangen sollte, um sich dann allmählich zu steigern.«
    »Er hält mich, glaube ich, nicht für sehr kompetent.«
    »Das ist doch nicht meine Schuld, oder?«
    »Das weiß ich«, sagte sie mit Nachdruck. »Aber ich bin es leid, dass ihr euch wie zwei Hähne in der Tierkampfarena benehmt.«
    »Und deshalb muss ich ausziehen?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Es ist nur so, er ist zurzeit sehr empfindlich. Du weißt, wie hellhörig das Haus ist. Und wenn du dich nachts im Bett hin und her wälzt ...«
    »Entschuldige, bei diesen Temperaturen kann man nicht pünktlich einschlafen. Gestern Abend waren es
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