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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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getroffen. Ich schnappte die Brocken »Samstag«, »netten Abend machen«, »ohne Kinder« auf. Auf dem Rücksitz meiner Ente lagen ein rotes Jackett, eine geblümte Krawatte und ein kleiner Fotoapparat mit lichtempfindlichem Film. Ich war zu allem bereit.
    Gegen neun kam Isabell. Sie trug etwas schwarzes Geschlitztes mit glitzernden Pailletten darauf. Fünf Minuten später wurde auch Yvonne sichtbar, in einem roten Kleid, das vorne und hinten extrem weit ausgeschnitten war. Mein Herz hüpfte. Heute oder nie würde meine Agfa-Klick etwas zu tun bekommen.
    Yvonne schrie dem älteren Mädchen ein paar Anweisungen zu, den Fernsehkonsum des kleinen Bruders betreffend, dann düsten die vergnügungssüchtigen Freundinnen los. Und ich düste hinterher.
    Die Verfolgung war ein Klacks. Ich musste ihnen zwar wegen des ausgedünnten Verkehrs reichlich Vorsprung lassen, aber Isabell hielt sich an alle Geschwindigkeitsbeschränkungen. In mäßigem Tempo gondelten wir auf die Innenstadt zu, umkurvten die Altstadt und landeten schließlich auf einem Parkplatz in der Nähe des Theaters.
    Von hier aus ging es zu Fuß weiter. Gott sei Dank nicht ins Theater, wie ich kurzfristig befürchtet hatte, sondern an dem weißen Doppelschiff der neuen Stadtbibliothek vorbei Richtung Kiepenkerlviertel. Zwei Ecken weiter wusste ich, wo sie hin wollten: ins Kangooroo, eine Discothek für das reifere Publikum. Mein letzter Besuch in diesem Etablissement lag drei Wahlperioden zurück, aber wenn sich seitdem nichts geändert hatte, erwartete mich ein Abend voller deutscher Schlager, wabernder Nebelschwaden, drehender Discokugeln und feuchtfröhlicher Anmache.
    Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte, es war schlimmer. Ein Plakat neben dem Eingang verkündete: Heute: Single-Party. Ein Abend voller Überraschungen. Nervös nestelte ich an meiner Krawatte. Und kalter Angstschweiß stand mir auf der Stirn, als die Dame am Eingang eine gelbe Nelke in das Knopfloch meines roten Jacketts stopfte.
    »Single-Party« war das Äquivalent einer Oberstufenfete mit minimaler Beleuchtung für Vierzig- bis Fünfzigjährige. Mit zunehmender Dauer und steigendem Alkoholgenuss gingen die Annäherungsversuche aus dem verbalen in den griechisch-römischen Stil über. Nicht mehr ganz zarte Frauenhände landeten auf meinem Bein oder, wie zufällig, an meinem Gesäß. Gehauchten Aufforderungen zum Tanz widerstand ich weitgehend, den verschwitzten Polonaisen durfte jedoch, auf Anweisung des Discjockeys, niemand entrinnen. Die angekündigten Überraschungen bestanden aus dem Bauchtanz einer pseudoägyptischen molligen Schönheit und einem Männerstrip (bis auf den Minitanga). Fragwürdiger Höhepunkt des Abends war die Wahl einer Miss-Nasses-T-Shirt, bei der sich die am Wettbewerb teilnehmenden Damen (dem Alter nach zu urteilen nicht alles Misses) eigens mitgebrachte T-Shirts überstreiften und sich von einem ekelhaft geifernden Kerl nassspritzen ließen.
    In dem Getümmel hatte ich alle Mühe, Yvonne und Isabell im Auge zu behalten. Die beiden wehrten sich genauso tapfer wie ich. Erst als ein ungleiches Männerpaar auftauchte, von dem der ältere, aufgedunsene, grauhaarige Part Isabell zu kennen schien, gaben sie ihren Widerstand auf. Der Kumpel des Grauhaarigen, ein schlanker Kerl mit viel Gel im dunklen Haar, stürzte sich sofort auf Yvonne Reichardt.
    Ich schlich mich näher ran und schoss ein paar Fotos. Die Augen des dunklen Typen waren zugleich müde und gierig. Er tat so, als würde er ihr zuhören, und schielte dabei in ihr Dekolleté.
    »Was die können, können wir schon lange«, sagte eine dunkle Stimme hinter mir.
    Ich drehte mich um und stand vor einer sehr großen Blondine. Die Spitzen ihrer hochtoupierten weißlichen Haare überragten meine nicht gerade kleinwüchsige Gestalt um etliche Zentimeter. Auf ihrem Gesicht lag eine dicke Make-up-Schicht.
    »Was meinst du, Kleiner?«, fragte sie (oder er?) und legte mir ihre kräftigen Arme auf die Schultern.
    Ich schob sie ein Stück zurück. »Wenn ich beim Küssen den Kopf in den Nacken legen muss, wird mir immer schwindelig.«
    »Du Schlingel.« Sie kniff mir in die Wange. »Ich hätte gewettet, dass du darauf stehst.«
    Zwischen Yvonne und dem Schlafzimmerblick-Typ entwickelte sich ein lockerer Flirt. Ein paar Mal gingen sie zusammen auf die Tanzfläche, doch jedes Mal, wenn er sie küssen wollte, drehte sie den Kopf zur Seite. Kein verwertbares Material für Papa Reichardt.
    Der Abend wurde länger
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