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Als die Tiere den Wald verließen

Als die Tiere den Wald verließen

Titel: Als die Tiere den Wald verließen
Autoren: Colin Dann
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Erster Teil Die Flucht l
Die Dürre
    Für die meisten Tiere des Farthing-Waldes begann gerade ein neuer Tag. Die Sonne war untergegangen, und die heiße, trockene Luft kühlte endlich ein wenig ab. Es dämmerte, und für den Dachs bedeutete dies, daß er zum Leben erwachte.
    Er verließ sein gemütliches unterirdisches Schlafzimmer, das mit trockenen Blättern und mit Gras ausgelegt war, und schlenderte durch die Verbindungsgänge auf den Ausgang zu. Dort blieb er stehen und schnupperte wachsam. Er bewegte den Kopf nach allen Seiten, und schon bald sagte ihm sein ausgeprägter Geruchssinn, daß keine Gefahr drohte. Er trat aus dem Loch. Der Bau des Dachses lag an einer abfallenden Stelle auf einer Lichtung des Waldes, und die Erde hier war inzwischen so hart wie Zement. Seit fast vier Wochen war kein Regen auf den Farthing-Wald gefallen. Der Dachs sah, daß der Waldkauz ganz in der Nähe auf dem niedrigen Zweig einer Buche saß, also trottete er hinüber, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, während er am Stamm des Baumes seine Krallen schärfte. »Immer noch kein Regen«, bemerkte er überflüssigerweise, während er sich hochreckte und an der Rinde scharrte. »Ich glaube, heute war es heißer denn je.« Der Waldkauz öffnete ein Auge und plusterte sich ein wenig auf. »Sie haben den Teich zugeschüttet«, sagte er kurz angebunden. Der Dachs hörte auf zu scharren und ließ sich auf alle viere fallen. Sein gestreiftes Gesicht zeigte seine Bestürzung. »Ich habe gehört, daß die Planierraupe den ganzen Tag herumfuhr«, sagte er. »Aber das ist ernst. Sehr ernst.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, wohin wir jetzt zum Trinken gehen sollen.« Der Waldkauz antwortete nicht. Er hatte den Kopf gedreht und schaute aufmerksam zu Boden. Der Dachs begann von neuem zu schnuppern, bis er den Geruch des Fuchses auffing, der auf sie zukam. Der Fuchs wedelte zur Begrüßung mit dem Schwanz, als er seine Freunde entdeckte. An dem besorgten Gesicht des Dachses konnte er ablesen, daß dieser die Neuigkeiten schon erfahren hatte. »Ich war gerade drüben und habe es mir angesehen!« rief er beim Näherkommen. »Kein Tropfen Wasser ist mehr da. Man kann nicht einmal mehr sehen, daß dort vorher ein Teich war.«
    »Was machen sie denn bloß?« fragte der Dachs. »Sie ebnen alles ein, nehme ich an«, sagte der Fuchs. »Sie haben auch wieder Bäume gefällt.« Der Dachs schüttelte den Kopf. »Wie lange dauert es noch, bis ...?« begann er.
    »Bis sie uns erreichen?« unterbrach der Waldkauz. »Vielleicht bis zum Sommer. Die Menschen sind sehr rasch mit ihrem Zerstörungswerk.« »Was meinst du, Fuchs?«
    »Der Waldkauz hat recht. Noch ein Jahr, dann gibt es hier vielleicht nur noch Beton und Backsteinmauern. Sie haben fünf Jahre gebraucht, um die Wiesen umzugraben und drei Viertel des Waldes abzuholzen. Wir sind ringsum von menschlichen Behausungen umgeben. Wir sind immer weiter zurückgedrängt worden, und jetzt hocken wir wie ein paar Karnickel zwischen den letzten Kornhalmen in der Mitte eines Felds und hören zu, wie die Mähmaschine sich nähert, und wir wissen, daß wir schon sehr bald um unser Leben rennen müssen.« »Und jetzt haben sie uns unser letztes richtiges Wasserloch weggenommen!« stöhnte der Dachs. »Was sollen wir nur tun?«
    »Wir haben immer noch den Bach am Fuß des Hügels«, sagte der Fuchs.
»Der besteht sicher nur noch aus einem schlammigen Rinnsal«, entgegnete der Dachs. »Wenn alle Tiere des Waldes dort trinken, dann ist er in wenigen Tagen ausgetrocknet.«
Der Waldkauz schlug ungeduldig mit den Flügeln. »Warum geht ihr nicht und schaut nach?« schlug er vor. »Es sind sicher noch andere Tiere dort. Vielleicht hat jemand einen Vorschlag.«
Ohne ein weiteres Wort hüpfte er vom Zweig, breitete die Flügel und flog davon.
Die letzten schwachen Lichtstrahlen waren verschwunden, als der Dachs und der Fuchs den Hang in den tiefen Wald hinabstiegen. Überall war die Erde hart und ausgedörrt, und selbst die zitternden Blätter an den Bäumen klangen spröde und ausgetrocknet. Nur die Dunkelheit um sie herum war ein Trost: die vertraute, lautlose Dunkelheit, die das scheue Getier des Waldes mit einem Mantel der Sicherheit umgab. Der Dachs und der Fuchs trotteten nebeneinander dahin, und jeder fragte sich, was sie wohl am Bach vorfinden mochten. Keiner der beiden sprach. Schließlich sahen sie, daß sich vor ihnen etwas bewegte. Mehrere Tiere rannten ziemlich planlos und verwirrt an der
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