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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Autoren: Juergen Kehrer
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April 1534 klappte in den meisten Fällen ziemlich komplikationslos. Zimmerleute sägten die Holzkonstruktionen ab, die dann mit großem Krach auf die umliegenden Häuser oder die staubigen Straßen stürzten. Nur mit dem Turm der Martinikirche hatten die Wiedertäufer ein Problem. Er neigte sich nach Osten, fiel aber nicht. Ein gewisser Trutelinck kletterte nach mehreren Tagen vergeblichen Mühens auf den schiefen Turm, um ein Seil an der Spitze zu befestigen. Der Turm fiel dann doch – als Trutelinck auf halber Höhe war. { 13 }
    Ich dachte lange über die Geschichte nach und kam dann zu dem Schluss, dass alle Kirchtürme Münsters für einen Anschlag der neuen Wiedertäufer anfällig waren, mit Ausnahme des Turms der Martinikirche.
    Mit diesem zugegebenermaßen unbefriedigenden Ergebnis ging ich ins Bett.
    Am nächsten Morgen saß ich auf einem klapprigen Plastikstuhl, als Hauptkommissar Stürzenbecher mit watschelnden Schritten den Gang entlangkam.
    »Komm rein!«, sagte er und schloss die Tür zu seinem Büro auf. »Um halb neun habe ich eine Besprechung. Also fass dich kurz!«
    »Wie du willst: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird heute ein Kirchturm in die Luft fliegen.«
    »Das hat mir gerade noch gefehlt.« Stürzenbecher ließ sich auf seinen Stuhl fallen. »Welcher ist es denn?«
    »Keine Ahnung. Das heißt, die evangelischen und den Martinikirchturm können wir vernachlässigen.«
    »Herrlich. Dann bleiben ja nur rund vierzig Türme übrig.« Stürzenbecher guckte auf seine Uhr. »Und jetzt möchte ich die Fünf-Minuten-Version hören.«
    Nach der Frühbesprechung hatte sich Stürzenbechers Laune nicht gebessert. »Ich habe zwei Mann pro Kirche angefordert. Das macht summa summarum eine Hundertschaft. Weißt du, was das bedeutet?«
    Ich wusste es nicht.
    »Wenn wir heute keinen Wiedertäufer zu fassen kriegen, stehe ich als Depp da. Ein Erfolg muss her, koste es, was es wolle.«
    »Mir persönlich wäre es lieber, der Anschlag würde nicht stattfinden.«
    Er guckte mich lange an. »Dieser Wiedertäufermist muss aufhören. Ich habe noch was anderes zu tun. Drei ungeklärte Todesfälle liegen hier auf dem Schreibtisch. Mein Sohn fällt durchs Abitur, und meine Frau überlegt, ob sie sich scheiden lassen soll. Seit Tagen ernähre ich mich von Haferschleim, weil mir mein Magengeschwür zu schaffen macht. Du hast versprochen, mir mindestens einen Täter samt Beweisen vor den Schreibtisch zu kippen. Und womit kommst du an? Mit der vagen Prophezeiung, dass ein Kirchturm in die Luft fliegen wird. Keine Ahnung, warum ich so viel Geduld mit dir habe.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass es so schlecht um dich steht.«
    Er lächelte gequält. »Mir geht's blendend. Spätestens morgen werde ich einen Verdächtigen festnehmen. Nämlich dich.«
    Lustlos zog er eine Akte von dem auf der rechten Seite des Schreibtisches liegenden Stapel. Während er darin herumblätterte, bewegten sich seine Lippen. Offensichtlich war die Audienz beendet.
    »Hier zum Beispiel«, sagte er plötzlich laut, »ein Priester, der unbedrängt auf trockener Fahrbahn gegen eine Autobahnbrücke fährt. Was soll ich denn davon halten? Seit wann begehen Priester, zumal katholische, Selbstmord? Das ist doch eine gottverdammte Todsünde.«
    Ich blieb stehen. »Wie hieß der Priester?«
    »Stefan Rogall. Eigentlich war er Mönch. Im Kloster nannte man ihn Bruder Martin.«
    »Kloster Rosmalen.« Ich biss mir auf die Unterlippe.
    Stürzenbechers Augen wurden zu Schlitzen. »Du kennst, ich meine, du kanntest ihn?«
    Ich nickte.
    »Er war einer von ihnen, stimmt's?«
    Was sollte ich sagen? Dass ich ein Schnupper-Wochenende im Kloster mitgemacht hatte?
    Nachdem ich meine Beichte beendet hatte, die darauf hinauslief, dass Bruder Martin der Einzige aus dem Kommando Jan van Leiden gewesen war, den ich persönlich kannte, musste ich Stürzenbechers skeptischen Blick aushalten.
    »Du könntest mir die Namen der ganzen Bagage aufzählen. Wen willst du schützen? Und warum?«
    Eine gute Frage.
    Ich suchte den Boden nach einer Antwort ab und fand keine. Stattdessen zog ich die zusammengefaltete Fotografie aus der Tasche und warf sie Stürzenbecher hin. Der Hauptkommissar pfiff durch die Zähne.
    »Woher hast du das Foto?«
    »Von Tobias Frank, dem Reporter.«
    Stürzenbecher lehnte sich zurück. »Ist zwar nicht mein Ressort, aber ich habe zufällig mitbekommen, dass bei dem Burschen eingebrochen worden ist. Die Geschichte kursierte in der
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