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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Autoren: Juergen Kehrer
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zuziehen?«
    Sie kicherte. »Mein Gott, bist du spießig.«
    Als ich zurückkam, hatte sie nur noch einen schwarzen Slip an. Ihre Haut war weiß, ein alabasterfarbenes, glänzendes Weiß. So, wie die italienischen Renaissancemaler gerne die Frauen malten. Ich streckte eine Hand aus und berührte die kleine, apfelförmige Brust. Und schon war ihre Zunge wieder da und umkreiste meinen Mund, bevor sie in ihn eindrang.
    Ihre Haut fühlte sich warm und glatt an. Meine Hand streifte ihre Hüfte, ihren Oberschenkel und blieb auf dem Slip liegen.
    »Zieh dich endlich aus!«, flüsterte sie.
    Was ich widerspruchslos befolgte.
    Eine halbe Ewigkeit oder zehn Minuten später lagen wir, die feuchtwarmen Körper dicht aneinandergepresst, entspannt auf der Couch. Ihr Kopf ruhte auf meinem Oberarm, und ich gab mich ganz der postkoitalen Erschöpfung hin.
    Irgendwann tauchte die Wirklichkeit und mit ihr ein Satz in meinem Gehirn auf, den ich, als wollte ich seine Wirkung ausprobieren, vorsichtig aussprach: »An Gott kommt keiner vorbei.«
    »Was?«, murmelte Mareike in meine Achselhaare.
    »Ich kann mich noch an die Litfaßsäulen erinnern, auf denen dieser Satz plakatiert war. Weißt du, was wir damals auf die Plakate gekritzelt haben? Außer Libuda. An Gott kommt keiner vorbei. Außer Libuda .«
    Mareike hob ihren Kopf mehrere Zentimeter. »Wer ist Libuda?«
    »Ein Schalker Stürmer. Dribbelkönig, Flankengott. Libuda spielte die Verteidiger auf einem Bierdeckel schwindelig. Keiner konnte das so gut wie er. Na ja, vielleicht noch Ente Lippens.«
    Sie guckte mich verwundert an. »Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Ich habe heute Morgen ein Foto gesehen. Zwei Menschen unter einem Transparent mit der Aufschrift ›An Gott kommt keiner vorbei‹.«
    Ihre schmalen Augenbrauen bildeten ein fragendes Dreieck.
    »Ein Junge und ein Mädchen«, fuhr ich fort. »Der Junge sah aus wie Tobias Frank, das Mädchen sah aus wie du.«
    Mareike setzte sich auf. »Wo hast du das Foto gesehen?«
    »In der Wohnung von Tobias Frank.«
    Sie griff nach ihrem Top und zog es über den Kopf.
    »Ich wusste gar nicht, dass du Tobias Frank so lange kennst.«
    »Du weißt so vieles nicht«, sagte sie gepresst. Dann fischte sie nach ihrer Jeans.
    Ich wartete schweigend, bis sie sich fertig angezogen hatte.
    Im Mantel, die Mundwinkel mitleidig herabgezogen, blickte sie auf mich runter. »Tobias Frank ist mein Bruder. Jetzt weißt du es.« Sie drehte sich um und ging zur Tür.
    »Mareike!«, rief ich ihr nach.
    »Ja?«
    »Was habt ihr morgen vor?«
    »Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.«
    »Doch.« Ich setzte mich auf. Plötzlich fühlte ich mich unangenehm nackt und drapierte ein Sweatshirt über meinem Unterleib. »Ich möchte nicht, dass du geschnappt wirst.«
    Widerwillig drehte sie sich um. »Warum sollte ich? Martin weiß nicht, welcher Kirchturm …« Sie stockte.
    »… in die Luft fliegt«, ergänzte ich. »Das habe ich mir fast gedacht. Und wenn Martin nicht der Verräter ist?«
    »Wer sonst?«
    »Dein lieber Bruder vielleicht.«
    Sie lachte freudlos. »Ich kenne Tobias besser als du.«
    »Manchmal leben sich Geschwister auseinander. Meine Schwester, zum Beispiel …«
    »Und wenn schon!« Sie war zwei Schritte zurückgekommen und stemmte ihre Hände in die Hüften. »Mir ist es inzwischen egal.«
    »Jetzt. Aber später wirst du es bereuen.«
    »Du bist so beschissen überheblich.«
    »Mareike«, sagte ich tonlos, »stopp den Unsinn! Es ist vorbei. Ihr habt verloren.«
    »Nein!«, schrie sie.
    »Ich bitte dich: Fahr weit weg! Versteck dich! Warte ab, bis alles vorüber ist!«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte sie langsam und drohend. »Die Kirche soll nicht noch einmal davonkommen. Du hast das Foto gesehen. Mein Bruder und ich, wir waren gläubige Katholiken. Wir sind in die Messe gegangen, haben unsere kleinen Sünden gebeichtet. Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was mit meiner Mutter schiefgelaufen war, warum sie sich uns gegenüber so merkwürdig benahm, warum meine Kindheit so beschissen war. Jetzt aufzugeben hieße, denen den Sieg kampflos zu überlassen.«
    Die Tür stand sperrangelweit auf, und ein kalter Luftzug fegte ins Wohnzimmer. Bibbernd stand ich auf, um die Tür zu schließen. Ich wusste nur, dass ich nichts wusste. Schlimmer noch, ich wusste nicht einmal, was ich wollte.

XIX
    Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, holte ich meine Wiedertäuferbücher heraus und begann zu lesen. Das Kappen der Kirchturmhauben am 9.
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