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Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Titel: Wieviele Farben hat die Sehnsucht
Autoren: Körner
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Kinder zwar dazu, ständig auf Euch zu hören, Euch im wahrsten Sinne des Wortes zu gehorchen, doch Ihr habt keine Ohren mehr für sie. Wenn Ihr das einmal versucht und dann noch immer der Meinung seid, daß meine Geschichten Eure Kinder verderben, dann will ich nie wieder in Eure schöne Stadt kommen, so wahr ich Roman heiße!“
    Ob man es nun glaubt oder nicht, damals waren Ratsherren wirklich noch Menschen, die anderen aufmerksam zuhörten und deren Argumente bedachten. So dankten die drei aufrichtig, kehrten nachdenklich in die Stadt zurück und berichteten von ihrem Gespräch mit dem alten Zigeuner. Am nächsten Tag waren die Zigeuner und mit ihnen der alte Roman verschwunden. Die Kinder waren enttäuscht und verwundert, weil die Zigeuner sonst immer länger dageblieben waren. Aber sie trösteten sich bald damit, daß der nächste Sommer auch wieder die Zigeuner und Roman zu ihnen bringen würde.
    Ein Jahr später waren sie wirklich wieder da, auch die Wahrsagerin und der alte Roman. Als dieser zum ersten Male aus seinem Wagen trat, bemerkte er mitten unter den Kindern die drei Ratsherren, mit denen er vor einem Jahr gesprochen hatte. Und es waren auch noch ein paar andere Erwachsene da. Zuerst wußte Roman nicht so recht, was er nun davon halten sollte. Doch dann sah er die frohen und erwartungsvollen Gesichter der Kinder und die etwas unsicheren, aber gespannten Augen der Erwachsenen. Da lächelte er auf einmal still vor sich hin und begrüßte sie alle mit dem Anfang einer ganz neuen Geschichte: „Es mag sein, daß es so war, es mag sein, daß es nicht so war, wer weiß das schon, doch eines Tages...“
     



Roland Kübler

Der Gesang des Wales
     
    I n ferner Vergangenheit, so weit zurück, daß nur noch spärliche Strahlen unserer Erinnerung jene Zeit erleuchten, lebte ein Volk an den Ufern eines gewaltigen Meeres. Die Menschen waren einfach und genügsam. Erde und Wasser gaben ihnen alles, was sie zum Leben brauchten. Zweimal im Jahr, immer kurz vor der Sonnenwende, fuhren die Jäger des Dorfes in ihren kleinen Booten aus der Bucht auf das offene Meer hinaus, um einen Wal zu jagen. Sie waren immer erfolgreich, denn der weite Ozean bot Platz für viele Wale. Danach feierten Alte und Junge gemeinsam das Fest der Sonnenwende am Ufer des Meeres und sangen ihre Dankeslieder hinaus in die endlose Weite des Wassers.
    So hätte es noch viele Jahre gehen können. Doch eines Tages kamen dickbäuchige Händler über das Land und sie boten Gold und Pelze für das Fleisch und Fett der Wale. Gier glitzerte nun in den Augen der Männer. Sie bauten große Schiffe und lauerten das ganze Jahr im Meer vor der Bucht. Die Dankesgesänge für die Wale gerieten rasch in Vergessenheit. Bald konnten sich nur noch wenige Alte an die Zeit vor dem großen Waljagen erinnern. Die Feste der Sonnenwende wurden zwar immer noch gefeiert, aber oftmals hatte sich in den Tagen zuvor das Wasser der Bucht rot gefärbt vom Blut der gemordeten Wale.
    An einem dieser Feste nun geschah es: Irgendwann in der Nacht — die Händler waren schon händereibend weitergezogen — trug der Wind aus der schwarzen Weite des Ozeans eine tiefe, dunkle, geheimnisvolle Melodie an die Feuerstellen. Die Alten horchten auf und schüttelten sich den Schlaf aus den Haaren: „Der Wal singt wieder“, murmelten sie bedeutungsvoll und starrten unsicher auf das nachtschwarz schimmernde Meer. „Die Alten spinnen mal wieder“, lallten die betrunkenen Jäger und wankten mit ihren Decken in die Zelte.
    Nur zwei der Jäger, Jorge und Amina, blieben bei den Alten zurück. Diese wärmten sich am Feuer und erzählten die fast vergessenen Überlieferungen. Geheimnisvoll knackte und knisterte das Holz, während eine der zahnlos vor sich hinmurmelnden Greisinnen in die Flammen starrte und begann: „Vor vielen Generationen - so lange her, daß wir nicht mehr zählen können, wie oft der Mond sein Gesicht wechselte - lebten die Menschen und Wale zusammen wie Brüder und Schwestern. Diesen Gesang, den ihr gerade gehört habt, konnten unsere Ahnen verstehen und mitsingen. Die Väter unserer Väter und deren Väter sprachen mit den Walen wie mit Menschen aus ihrem Volk. Unser Volk wurde von den Walen durch wilde Gesänge gewarnt, wenn Springfluten das Dorf bedrohten, und mit traurigen, wenn die Winter hart und entbehrungsreich über Land und Meer fielen. Generation um Generation sangen sie ihre Lieder mit unserem Volk. Als die Händler kamen und die Jäger Wale schlachteten wie
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