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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Autoren: Stefan König
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Eine alte Geschichte
    Regen war angesagt. Regen in den
Tälern, Schneefall in den Hochlagen über zweitausend Metern.
    Dass es in den Bergen auch Ende September schon
schneite, war so ungewöhnlich nicht. Oft hüllte ein Vorbote des Winters die
Felsen, Wälder, Weiden und Wege in dichtes Weiß, ehe dann ein milder Herbst
alles noch einmal abschmolz und ausapern ließ. Die Menschen, die in Tirol
lebten, ließen sich von der Nässe und dem frühen Schnee nicht deprimieren: Sie
lebten schließlich in der Hoffnung, dass der Sommer noch nicht gänzlich zu Ende
sein würde.
    Am Brennerpass hatte Reinhold Spiss seine
blutjunge Begleiterin mit dem Schirm vom Wagen zur öffentlichen Toilette
geleitet, die nasse Kälte war durch sein Jackett und das Hemd bis auf seine
Haut und noch tiefer in ihn hineingekrochen. Ihn fröstelte fürchterlich während
der paar Minuten, da er vor dem Klo stand. Im Licht der Scheinwerfer am
Grenzübergang flirrte der Regen. Einen Moment lang beneidete er die
italienischen Zollbeamten, die ihren stumpfsinnigen Dienst wenigstens in dicken
Anoraks ableisten konnten. Und er hatte fast Mitleid mit Carla: Sie trug keine
Strumpfhose, und ihr Mini reichte nicht einmal bis zur Mitte ihrer
Oberschenkel.
    Carla, dachte er, süßes, kleines Biest, du wirst
dich verdammt erkälten, wenn wir nicht schnell wieder wegkommen von hier. Der
Brennerpass ist nicht das Richtige für ein Mädchen, das fast nichts anhat.
Nicht bei diesem Sauwetter.
    Er schaute zurück. Die Straße, die von Süden den
Pass heraufkommend den Ort durchzog, lag in nächtlicher Stille. Ein paar müde
Straßenlaternen warfen orange Lichtscheine auf den schwarz glänzenden Asphalt.
Linker Hand war das Bahnareal erleuchtet, und er konnte hören, dass Waggons
rangiert wurden; es quietschte und donnerte, und in die Geräusche von Stahl auf
Stahl mischte sich eine unverständliche Lautsprecherstimme. Klingt, als würde
jemand durch ein Handtuch ins Mikrofon sprechen, dachte er.
    Ganz hinten rechts drang Licht aus einer Bar. Als
sie vorhin daran vorbeigefahren waren, hatte er gesehen, dass noch einige Gäste
darin gewesen waren. Ein paar Autos parkten zu beiden Seiten der Straße. Jetzt
kam wieder eines herangerollt, ein Lieferwagen oder Lastwagen, wie die
Anordnung der Scheinwerfer vermuten ließ. Das Fahrzeug verlangsamte, der
Blinker wurde gesetzt, es fuhr links ran, und kurz darauf stiegen zwei Leute aus
und überquerten die Straße zur Bar hin.
    Was Spiss nicht sah, war, dass keine zwanzig
Meter von ihm entfernt ein Auto am Straßenrand stand, das ihm schon eine ganze
Weile gefolgt war. Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet, das Innenlicht
ebenfalls. Er bemerkte nicht, dass jemand hinterm Steuer saß und ihn
beobachtete.
    »Puh, saukalt!«
    Spiss erschrak und musste dann aber gleich über
sich selbst lächeln. Carla war lautlos zurückgekehrt, war plötzlich neben ihm
gestanden, und er hatte sie erst bemerkt, als er ihre Stimme hörte.
    »Komm!«, sagte er. Er drückte sie an sich, nahm
sie in den Arm, beschirmte sie und hastete mit ihr zum Auto.
    »Jetzt müssma aber schaun, dass wir nach
Innsbruck kommen«, sagte sie. »Du weißt, ich muss um zwölf zu Haus sein.«
    Sie schüttelte sich und rieb sich die Hände.
    Spiss ließ den Wagen an und sagte: »Das schaffen
wir.«
    Er rangierte den Mercedes in die Straßenmitte und
ließ ihn im zweiten Gang auf die Grenze zurollen.
    Er blickte kurz zu ihr hinüber. Durch die grellen
Scheinwerfer an der Grenze war es im Wagen hell genug, dass er eine Sekunde
lang ihr rotbraunes Haar sah und wie wunderbar leicht es ihr auf die Schultern
fiel. Dass der Schnitt ein bisschen bieder war, nicht sehr sexy, machte ihm
nichts. Im Gegenteil – es reizte ihn doppelt.
    Lächelnd nahm er wahr, wie Carla sich den kurzen
Rock straff zog, sich ihren roten Mantel vom Rücksitz holte und über den Schoß
legte.
    »Passaporti, per favore«, sagte der Zollbeamte
durchs halb heruntergekurbelte Seitenfenster. Es genügte ihm, einen kurzen
Blick auf die Ausweise zu werfen, dann winkte er Spiss weiter.
    Doch die Prozedur war noch nicht vorüber. Keine
fünfzig Meter weiter trat ein österreichischer Grenzer aus seinem verglasten
Häuschen, der Atem kam ihm als kleines Wölkchen aus dem Mund, er schlug den
Kragen hoch, beugte sich zum Wagen herunter und erbat ebenfalls die Papiere. Er
hatte eine Taschenlampe bei sich und leuchtete in den Innenraum des Fahrzeugs,
woraufhin Spiss die Innenbeleuchtung anschaltete.
    »Haben Sie was
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