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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Autoren: Stefan König
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bekäme,
die einschlagen würden wie eine Bombe.
    Das brächte Kohle, dachte er. Richtig Kohle.
    Er sah die Titel in fetten Lettern vor seinem
geistigen Auge: »Sex-Affäre: Reifen-Multi Spiss verführt Minderjährige« oder
»Schülerin wird Millionär zum Verhängnis« oder auch »Lolita-Sex: Wie Reinhold S.
Frau und Familie betrog«.
    Tinhofer verscheuchte die Gedanken. Die
Geschwindigkeit war hoch, und er spürte, dass er sich ganz aufs Fahren
konzentrieren musste. Bei diesen Verhältnissen durfte man sich keinen Fehler
erlauben. Weiß Gott nicht.
    Vielleicht ist das, was ich hier mache, ja schon
ein Fehler, dachte er. War es richtig, sein Zielobjekt zu verfolgen? Musste es
Spiss nicht auffallen, dass er immer dasselbe Fahrzeug hinter sich hatte? Wäre
es nicht besser, ihn ziehen zu lassen und den Faden ein anderes Mal neu
aufzugreifen? Oder war es genau das Richtige, sich auf seine Fährte zu setzen
und ein »Alles oder nichts« zu versuchen?
    Lauter Fragen. Keine Antwort, die beruhigen
konnte. Er tat, was er tat, wie so oft in seinem Job, aus dem Bauch heraus. Er
verließ sich auf seinen Instinkt. Und dieser Instinkt sagte ihm, dass er heute
noch ein starkes Bild bekommen würde.
    *
    Bald hinter Matrei begannen die Kurven. Eng
geschnitten, zwischen Kilometer fünfzehn und Kilometer acht immer eine an die
nächste gereiht, schon bei Tag und im Sommer mit einiger Vorsicht zu genießen.
Früher, als der Verkehr hier noch stärker floss – bevor die Autobahn durchs
Wipptal zum Brenner inklusive der 1963 fertiggestellten Europabrücke gebaut
worden war –, hatte es hier reichlich Verkehrsunfälle gegeben.
    Doch auch jetzt noch war die Strecke berüchtigt.
In unschöner Regelmäßigkeit erwischte es hier Motorradfahrer, die sich selbst
über-oder die Straße unterschätzten. Und dann waren da natürlich die
überforderten Urlaubsreisenden, die sich auf dem Weg nach Süden oder auf dem
Rückweg aus den Ferien die Autobahnmaut sparen wollten, dabei aber viel zu
wenig Fahrroutine besaßen, um diesen durchaus anspruchsvollen Streckenabschnitt
sicher bewältigen zu können. Die Autos wie die Motorräder schossen über die
Kurven hinaus und sausten im Schatten der gewaltigen Europabrücke in den
Abgrund.
    »Wenn du weiterhin so schnell fährst …«, hauchte
ihm Carla ins Ohr. Sie hatte den Mantel wieder zu Seite geschoben und drückte
sich an ihn. »Wenn du weiter so schnell fährst, wirst du uns noch ins Verderben
stürzen.« Sie sagte es, meinte es aber nicht ernst. Das spürte er.
    »Ich hab doch gute Reifen«, sagte er lächelnd.
»Reifen-Spiss ist doch ein erstklassiges Unternehmen.« Und er sagte lachend den
Werbeslogan seines Unternehmens auf: »Sommerreifen. Winterreifen. Erstklassiges
Profil. / Sicherheit und Qualität kosten gar nicht viel. / Reifen-Spiss.
Innsbruck, Kufstein, Salzburg, Bregenz, Feldkirch, Linz / Und demnächst auch in
Graz und Wien.«
    Er sah zu ihr hinüber, sah ihre Brüste im
Halbdunkel, sah die Knospen steif und lüstern, sah in Carlas junge Augen, die
trotz des geringen Lichtes zu leuchten schienen, und er spürte, wie sie ihm
sanft die rechte Hand vom Lenkrad nahm und an ihren Schritt führte. Ihren Flaum
spürte er und die warme Feuchtigkeit, die er bei seiner Ehefrau schon lange
vermisste.
    Eine Lust stieg in ihm auf, wie er sie in seinem
Leben nur mit Carla erfahren hatte, nie mit einer anderen Frau, schon gar nicht
mit seiner eigenen. Eine Lust, die ihn berauschte und verzauberte, die ihn
jedes Mal schweben ließ und ihn glauben machte, er würde für eine halbe Stunde
den Boden unter den Füßen verlieren.
    Und er verlor ihn wie noch nie.
    *
    Als der kurvige Streckenteil begann,
verlangsamte Tinhofer die Geschwindigkeit. Die Straße war nass, die Temperatur
nur knapp über null. Er befürchtete, dass sich hier im Wald stellenweise Glätte
gebildet haben konnte, und das war nun doch zu viel.
    Ich riskier doch nicht mein Leben, dachte er.
    Und er sah seine kleine Tochter, die jetzt mit
ihrem Kuschelteddy im Arm schlief, und seine Frau, die im fünften Monat
schwanger war. Das stimmte ihn glücklich.
    Er nahm den Fuß vom Gaspedal und ging mit nicht
einmal fünfzig Stundenkilometer in die erste scharfe Rechtskurve. Die
Rücklichter von Spiss’ Mercedes waren längst hinter der nächsten Biegung
verschwunden. Es war fraglich, ob er ihn noch einmal einholen würde.
    »Scheiß einfach drauf«, sagte Tinhofer halblaut
zu sich selbst. Er fingerte sich eine HB aus der Packung, die halb
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