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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem
Autoren: J Jones
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angesichts des Verlustes eines solchen großen Mannes.«
    Werthens Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, da ein dünnes Gespenst von einem Mann den fast unmöglichen Versuch unternahm, sich noch zwischen ihn und den Alten mit dem hohen Hut zu zwängen.
    »… geehrt zu werden durch seine geliebte Stadt, begraben zwischen zwei anderen Meistern der Musik, Schubert und seinem lieben Freund Brahms …«
    Er schnappte nur Bruchstücke der Rede auf und konzentrierte sich stattdessen auf den dünnen Mann, der nun zwischen ihm und dem Mann vor ihm eingezwängt war.
    »Wir Wiener versprechen hier an seinem Grab, diesen Mann der Musik nie zu vergessen …«
    Schnell entdeckte Werthen, warum sich der Mann so weit ins Gedränge begeben hatte. Der Kerl wartete ganz offensichtlich auf einen Höhepunkt in der Rede, um zuzuschlagen.
    »Mein lieber Maestro, solange noch ein Wiener lebt, so wirst auch du unvergessen sein. Wir haben für dich eine letzte Ruhestätte inmitten der größten Komponisten der Welt gewählt, um zu bezeugen, dass, wann immer von Wien gesprochen wird, auch von Johann Strauß die Rede sein wird. Wir nehmen nun Abschied von dir, geliebter Walzerkönig. Wir verlassen dich, damit du deine letzte Reise antreten kannst. Wir geloben auf ewig das Andenken an deinen überragenden Geist lebendig zu erhalten; in unserem Herzen und in unserer Seele.«
    Als trotz des ernsten Anlasses ein donnernder Applaus einsetzte, schlug der dünne Mann zu.
    Werthen kannte die Methoden solcher Menschen aus seiner Zeit als Verteidiger noch bestens. Mühelos glitt die sehnige Hand in die Jackentasche des alten Mannes vor ihm und zog geschickt eine Börse von enormer Größe daraus hervor. Noch während die versammelten Trauergäste Bürgermeister Luegers Rede applaudierten und der Direktor der
Gesellschaft der Musikfreunde
den Platz auf der Tribüne einnahm, bereitete die dürre Kreatur vor Werthen ihren Rückzug vor.
    »Nicht so hastig«, sagte Werthen und packte den Nacken mit eisernem Griff. Der Mann drehte den Kopf zu ihm herum. Seine Augen funkelten vor Wut.
    »Was wollen Sie von mir?«, zischte der Mann ihn an.
    »Geben Sie das Geld zurück, oder Sie kommen ins Landl.«
    Erschrocken ließ der Mann die Geldbörse fallen, als Werthen den Spitznamen des Wiener Gefängnisses benutzte. Werthen lockerte seinen Griff. Die Gestalt entkam und verschwand in der Menge. Es war alles so schnell vonstatten gegangen, dass keiner der Umstehenden die Auseinandersetzung bemerkt hatte.
    Werthen bückte sich nach der Geldbörse des alten Mannes. Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, als der Alte sich herumdrehte und die Börse in Werthens Hand sah. Sogleich begann er zu schreien.
    »Ein Dieb! Ein Dieb! Der Lump stiehlt meinen Geldbeutel.«
    Noch bevor Werthen zu einer Erklärung ansetzen konnte, wurde er an beiden Armen gepackt und an den Rand der Menschenmenge geschoben. Der Alte folgte ihnen wütend schimpfend. Die schwere Hand eines Gendarmen in blauer Jacke und roter Hose legte sich auf Werthens Schulter.
    »Also dann«, sagte der Gendarm. »Was ist vorgefallen?«
    Die nächsten fünfzehn Minuten verbrachte Werthen mit Erklärungen des Geschehens, wurde jedoch immer wieder durch den ungestümen alten Herrn unterbrochen.
    »Und wo ist der Dieb jetzt?«, fragte der Gendarm.
    Aber Werthen konnte den Mann in der Menge der Trauernden nicht mehr entdecken. Vermutlich war er bereits geflohen.
    »Herr Gendarm, ich versichere Ihnen, dass ich keinesfalls auf Beerdigungen gehe, um andere Menschen zu bestehlen. Ich bin Jurist, ein Angehöriger des Gerichtshofes.«
    Die Menschenmenge entfernte sich langsam von der Grabstätte. Arbeiter trugen den Blumenschmuck aus den Kutschen und errichteten kleine Hügel aus üppig duftenden Blüten. AndereArbeiter schaufelten Erde auf den Sarg; der offizielle Grabstein würde erst später aufgestellt werden.
    »Auch wenn Sie ein Angehöriger des Gerichtshofes sind«, sagte der Polizeibeamte, »es liegt eine Anschuldigung gegen Sie vor …«
    »Kann ich vielleicht behilflich sein?«
    Werthen hatte nicht bemerkt, dass Klimt hinzugetreten war. War der Maler sonst von eher schroffem Benehmen, so zeigte er sich nun von seiner freundlichsten Seite, zog seinen Hut sowohl vor dem Gendarmen als auch vor dem alten Manne. All jene Männer, die geholfen hatten, Werthen festzuhalten, waren schon längst ihrer Wege gegangen und hatten lediglich zu Protokoll gegeben, die Geldbörse in der Hand des Juristen gesehen zu haben.
    »Das kommt darauf
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