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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem
Autoren: J Jones
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Zuckerkringel aus Weiblichkeit, der nicht für jeden zur Schau gestellt wurde.
    Allerdings war Werthen in der Beurteilung seiner Frau wohl nicht ganz objektiv.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Advokat, dass Sie mich so kurzfristig empfangen.«
    Was soll man darauf antworten?, dachte er und griff zu der üblichen Phrase. »Keine Ursache.«
    »Ich weiß nicht, wie viel Ihnen Gustav … Herr Klimt bereits erzählt hat …«
    »Sehr wenig. Er erwähnte lediglich ein Anliegen, dass Sie mit mir besprechen möchten.«
    »Sie werden denken, dass ich ein albernes junges Mädchen bin«, sagte sie und errötete wie auf Stichwort.
    Werthen hob den Blick und sah zu Berthe hinüber, die jedoch mit leicht amüsiertem Blick eifrig etwas in Kurzschrift notierte.
    Unvermittelt lehnte sich Fräulein Schindler ein wenig über den schmalen Schreibtisch und fixierte Werthen. Er roch den Duft von Erdbeeren in ihrem Atem. Es mussten die ersten der Saison gewesen sein.
    »Es dreht sich um Herrn Mahler, den Komponisten.«
    »Der Dirigent der Wiener Hofoper«, ergänzte Werthen.
    »Auch das, aber haben Sie denn seine Musik nicht gehört? Überragend. Könnte ich nur eines Tages so etwas komponieren, hätte mein Leben wirklich einen Sinn.«
    Sie lächelte ihn liebreizend an, während sie mit ihm sprach und sich weiter über seine Seite des Schreibtischs beugte. Die obere Hälfte ihres Mieders bestand aus reiner Spitze, Werthen musste sich zusammenreißen, seinen Blick nicht auf ihr Dekolleté zu richten.
    »Nein, ich hatte bislang noch nicht das Vergnügen. Aber am Dirigentenpult ist er jedenfalls ganz ausgezeichnet.«
    »Das sind nur Fingerübungen«, sagte sie herablassend. »Aber deshalb bin ich nicht bei Ihnen. Meine Güte, das kommt mir jetzt alles so albern vor.«
    »Ich bitte Sie, Diskretion ist innerhalb dieser vier Wände selbstverständlich«, sagte Werthen, der fast gegen seinen Willen von ihrem Charme eingenommen wurde.
    »Jemand versucht, ihm Schaden zuzufügen, vielleicht sogar, ihn zu ermorden. So. Jetzt habe ich es ausgesprochen!«
    Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, fast wie ein gescholtenes, verstocktes Kind.
    Werthen atmete tief durch. Das hatte er nun allerdings wirklich nicht erwartet. Berthe warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.
    »Wie kommen Sie denn zu dieser Annahme?«
    »Es gab da einige … Vorkommnisse.«
    »Mehrere?«
    »Ja.«
    »Ich habe selbstverständlich von dem unglücklichen Unfall, dem Tod der jungen Sopranistin gelesen …«
    »Das war kein Unfall.«
    Wieder blickte Werthen zu seiner Frau hinüber, die nur kurz die Augenbrauen hob.
    »Könnten Sie das vielleicht ein wenig erläutern?«
    »Ein Feuervorhang fällt nicht einfach aus Versehen herunter. Er ist mit Seilen doppelt gesichert. Der Feuervorhang aus Asbest hängt bei der Hofoper unmittelbar hinter dem Proszenium und hat eine eigene Winde. Er kommt nicht so einfach herunter, wenn er es nicht soll.«
    Werthen war beeindruckt. Die junge Frau hatte ganz offenbar ihre Hausaufgaben gemacht. Natürlich war ganz Wien theaterverrückt, und er selbst bildete da ebenfalls keine Ausnahme. Feuerschutzvorhänge waren eine relativ neue Erfindung, die sich erst jetzt, nach dem tragischen Feuer im Wiener Ringtheater im Dezember 1881, weltweit allmählich durchsetzte. Hunderte Menschen waren getötet worden, als ein Kulissenbrand in den Zuschauerraum übersprang. Das ausgebrannte Theater hatte man später abgerissen und durch einen Wohnblock mit dem passenden Namen »Sühnhaus« ersetzt.
    »Und was sagt der Inspizient des Hauses dazu?«
    Fräulein Schindler zeigte nun eine ganz uncharakteristischeMimik: Sie zog ihr hübsches Näschen kraus, als würde sie in der Sonne liegende Pferdeäpfel riechen.
    »Dieser Herr ist ein Idiot. Er hat keine andere Erklärung, als dass sich die Knoten der Seile irgendwie gelöst haben müssen. Aber diese Knoten sind ja nicht einfach ein paar hübsche Schleifen aus Hanf, sondern kunstfertig geknüpft, damit sie eine schwere Last halten. Und immerhin gibt es zwei davon, Herr Werthen.«
    »Sie erwähnten noch andere Vorkommnisse.«
    »Ein Bühnenbild fiel nur knapp neben Herrn Mahler zu Boden. Sie müssen dazu wissen, dass die Oper noch immer ein ›Hanf-Haus‹ ist.«
    Sie lächelte, als sie diesen technischen Ausdruck benutzte, wohl in Erwartung von Werthens Ratlosigkeit. Er nickte jedoch nur. Ein alter Fall aus Graz, als er noch im Strafrecht praktizierte, hatte ihm etwas
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