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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt
Autoren: Peter Ackroyd
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Charles Lamb das Haus in Holborn und machte sich auf den Weg zur Ostindien-Kompanie in der Leadenhall Street. Als er aus der Holborn Passage heraustrat, schloss er sich der gewaltigen Fußgängerschar an, die sich an diesem klaren Herbstmorgen auf die City zubewegte. Allerdings war ihm kurz vorher noch etwas aufgefallen, und so kehrte er wieder um. Er war früh aufgestanden, deshalb hatte er noch mindestens eine Stunde Zeit, bis er an seinem Schreibpult im Dividendenkontor sitzen musste. Die Holborn Passage war lediglich ein etwas breiterer Durchgang, einer jener dunklen Fäden im Geflecht der Stadt, wo sich im Laufe der Jahrhunderte Ruß und Staub abgelagert hatten. Neben einem Pfeifengeschäft gab es hier einen Frauenschneider, eine Schreinerei und eine Buchhandlung. Doch die Läden wirkten heruntergekommen. Die Kleiderstoffe waren ausgeblichen, die Pfeifen im Schaufenster würde nie jemand rauchen, und die Werkstatt wirkte unbenutzt. Im Fenster der Buchhandlung lag ein Dokument, verfasst in einer Sekretärsschrift des sechzehnten Jahrhunderts. Jawohl, genau das hatte er gesehen.
    Charles hatte eine Vorliebe für alte Dinge. Überquerte er den Platz, auf dem früher die alte Aldgate-Wasserpumpe gestanden hatte, stellte er sich vor, wie man vor fünfhundert Jahren Wasser aus der Holzröhre befördert hatte. Einst war er auch die alte römische Stadtmauer abgeschritten, und dabei war ihm aufgefallen, dass der heutige Straßenverlauf der früheren Mauerlinie* entsprach. Auch hatte er sich schon einmal lange über die Sonnenuhren im Inner Temple gebeugt und ihre Sinnsprüche mit dem Finger nachgezeichnet. «Die Zukunft ist nichts und doch alles, die Vergangenheit ist alles und doch nichts.» Diesen Geistesblitz hatte er einmal im betrunkenen Zustand an Tom Coates weitergegeben.
    Bei dem im Schaufenster liegenden Dokument aus elisabethanischer Zeit handelte es sich anscheinend um ein Testament. Obwohl er kein Paläograph war, konnte er die Worte «Ich vermache» entziffern. Im düsteren Laden stand ein junger Mann und starrte durch das Fenster zu ihm heraus. Sein blasses Gesicht und die flammend roten Haare ließen ihn wie ein Gespenst erscheinen. Doch dann öffnete der junge Mann lächelnd die Tür.
    «Mr Lamb?»
    «Höchstpersönlich. Woher kennen Sie meinen Namen?»
    «Man hat mich im Salutation and Cat auf Sie aufmerksam gemacht. Ich sitze dort manchmal ganz hinten am Tisch. Sie hätten mich unmöglich bemerken können. Bitte, treten Sie näher.»
    Schon beim ersten Schritt in den Laden stieg Charles aus den Einbänden der alten Folio- und Quartausgaben ein leicht muffiger Geruch in die Nase. Was er hier einatmete, war der Staub des Wissens, ein ganz besonderer, köstlicher Duft. An zwei Seiten des Raums verlief ein hölzerner Ladentisch, auf dem Manuskripte, lose Blätter und Pergamentrollen ausgebreitet waren. In den Regalen entdeckte er die gesammelten Werke von Drayton, Drummond, Hawthornden und Cowley.
    «Je besser ein Buch ist», sagte der junge Mann, der seinen flüchtigen Blick bemerkt hatte, «umso weniger Ansprüche stellt es an den Einband. Ein kräftiger Buchrücken und eine saubere Bindung, das ist alles, was ein Band benötigt.»
    «Und eine prächtige Ausstattung käme erst an zweiter Stelle?»
    «Wenn überhaupt. Ich heiße Ireland, Mr Lamb. William Henry Ireland.» Sie gaben einander die Hand. «Ich würde beispielsweise keine Journalreihe als Franzband gestalten. Und ein aufgetakelter Shakespeare-Band ist sinnlos.»
    Die Fachkunde des jungen Mannes überraschte Charles. «Sie haben völlig recht, Mr Ireland. Der wahre Bücherfreund wünscht abgegriffene Seiten und einen Einband mit Benutzerspuren.»
    «Ich kenne den Unterschied, Mr Lamb, und weiß, welche Seiten mit echter Begeisterung umgeblättert wurden und welche nur aus Pflicht.»
    «Tatsächlich?» Er hatte hier in der Tat einen außergewöhnlichen jungen Mann vor sich.
    Charles schätzte William Ireland auf kaum mehr als siebzehn Jahre. Seine Krawatte, sein Hemd und seine leuchtend gelbe Weste verliehen ihm ein seltsam altmodisches Aussehen. Eigentlich hätte er eine gepuderte Perücke tragen müssen. Und doch besaß er eine starke Ausstrahlung, von der sich Charles angezogen fühlte.
    «Bei Shakespeare bevorzuge ich die Volksausgaben. Ich bin entzückt über die Ausgaben von Rowe oder Tonson. Dagegen kann ich Beaumont und Fletcher nur im Folioformat lesen. Finden Sie nicht auch, dass bereits der Anblick der Oktavausgaben schmerzt? Dafür
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