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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt
Autoren: Peter Ackroyd
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Ihr ganzes Leben bestand aus solchen Aufgaben. Tizzy war zu gebrechlich, um alle Putz- und Kocharbeit im Haushalt zu erledigen, deshalb übernahm Mary die beschwerlichsten Aufgaben. Für ganze zehn Shilling pro Woche hätten sie sich eine junge Dienstmagd leisten können, aber Mrs Lamb war aus Prinzip dagegen, noch eine Person aufzunehmen, die den sorgsam ausgewogenen Haushalt und die Ruhe der Familie Lamb stören könnte.
    Mary fügte sich einigermaßen willig in ihre Rolle. Charles ging ins Kontor, und sie kümmerte sich um den Haushalt. So würde es immer sein. Jedenfalls hatte sie sich nach ihrer Krankheit noch mehr zurückgezogen. Sie bildete sich ein, die Narben im Gesicht hätten sie zu einem bemitleidenswerten oder abscheulichen Objekt gestempelt. Sie wollte sich keinesfalls zur Schau stellen.
    Charles ging im darüber liegenden Zimmer auf und ab. Sie hatte sich an seine Schritte gewöhnt. Damit bereitete er sich aufs Schreiben vor. Ehe er zur Feder griff, ordnete er im Gehen seine Gedanken. Er lief auf einem schmalen Teppich am Fußende seines Bettes herum. Noch drei oder vier Runden, dann würde er sich an seinen Sekretär setzen und beginnen. Man hatte ihn Matthew Law vorgestellt, dem Herausgeber der Westminster Words. Dieser hatte die Abhandlung des jungen Mannes über die Schauspielkunst am Old Drury Lane begeistert gelesen und ihn mit einem Essay zu diesem Thema beauftragt. Bereits drei Tage später hatte Charles abgeliefert. Der Artikel hatte mit einem schwungvollen Absatz über den Schauspieler Munden geendet: «Die Betrachtung eines Butterfasses gerinnt ihm zur platonischen Idee. Er begreift einen Hammelbraten in seinem innersten Wesen. Verwundert steht er zwischen den Dingen des täglichen Lebens wie der Mensch der Frühzeit unter Sonne, Mond und Sternen.» Laut Matthew Law war dies eine «flammende Suada». Seither lieferte Charles regelmäßig Beiträge für das Wochenblatt. Momentan schrieb er an einem Artikel zum Lob der Schornsteinfeger. Durch die Lektüre von Sterne wollte er herausfinden, ob sich sein Lieblingsautor jemals mit diesem Thema befasst hatte.
    Charles verdiente weiterhin seinen Lebensunterhalt als Kontorist bei der Ostindien-Kompanie. Darauf hatte seine Mutter bestanden. Trotzdem betrachtete er sich selbst eher als Schriftsteller. Seit seiner Studentenzeit am Christ’s Hospital hatte seine ganze Hoffnung und sein ganzer Ehrgeiz der Literatur gegolten. Regelmäßig las er seine Gedichte Mary vor, die sehr aufmerksam, ja fast feierlich lauschte. Es war, als hätte sie selbst sie geschrieben. Er hatte ein Drama verfasst, in dem er den Darnley übernahm, während sie die schottische Königin Maria Stuart mimte. Ihre Rolle hatte sie zutiefst aufgewühlt. Noch immer konnte sie einige Zeilen ihres damaligen Textes aufsagen.
     
     
    «Mary, ruf deinen Bruder zum Nachtmahl.»
    «Er arbeitet an seinem Essay, Mama.»
    «Schweinekoteletts werden seinem Essay nicht schaden, wage ich zu behaupten.»
    Keine der beiden Frauen nahm von Mr Lambs Bemerkung über rote Haare Notiz.
    Mary war zur Tür gegangen, aber Charles stand schon mitten auf der Treppe.
    «Es duftet nach Schweinefleisch, Schwesterherz. Der Starke mag sich an ihm gütlich tun und der Schwächling seine milden Säfte nicht zurückweisen.»
    «Francis Bacon?»
    «Nein. Charles Lamb. Ein subtilerer Geist. Buon giorno, Mama.»
    Mrs Lamb führte ihren Mann in das kleine Speisezimmer auf der Rückseite des Hauses, von wo man einen Ausblick auf einen schmalen Gartenstreifen hatte. Am hinteren Ende stand eine gusseiserne Pagode, daneben lagen die Überreste eines Laubfeuers. Am Vormittag zuvor hatten Mrs Lamb und Mary ganze Arme voll Laub vom Rasen und von den grauen Schieferplatten gesammelt und danach angezündet. Während der süßliche Rauch in den bewölkten Londoner Himmel stieg, hatte Mary den Duft tief eingeatmet. Ihr war, als würde sie ein Opfer darbringen. Aber welchem unbekannten Gott? Vielleicht dem Gott der Kindheit?
    Tizzy stellte eine Sauciere auf den Tisch. Sie litt an einer leichten Schüttellähmung und verschüttete etwas Sauce auf der polierten Tischplatte. Charles benetzte seinen Finger und tupfte sie auf. «Ein paar Brotkrumen, gemischt mit Leber und dazu eine Spur Salbei. Das nenne ich Glückseligkeit.»
    «Unsinn, Charles.» Als Mitglied der Fundamentalistischen Gemeinde Holborn hatte Mrs Lamb sehr genaue Vorstellungen über die Glückseligkeit. Trotzdem wirkte sich ihre etwas düster angehauchte Frömmigkeit
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