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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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Geburtstag bei dem Pfarrer gewesen, um zu beichten. Die Haushälterin Fernanda hatte an der Tür gelauscht und der Konstantin verraten, Johannes Baptiste habe Angela die Absolution verweigert.«
    »Ja, Pavel, die alte Konstantin hat die Wahrheit gesagt. Oder das, was sie für die Wahrheit hielt. Aber das ist eine andere Geschichte. Es stimmt, Angela war erst im Pfarrhaus bei Papa Baptiste und anschließend in der Bücherei gewesen. Als ich am Tag nach Iljas Geburtstag die Bibliothek betrat, bemerkte ich sofort, dass sie noch einmal dort gewesen war. Es roch nach Rose. Angela musste mir eine Botschaft hinterlassen haben. Ich suchte. Und fand das grüne Tagebuch.«
    »Was! «, riefen Buba und ich vor Schreck und Erstaunen. »Du kanntest dieses Buch? Du hast uns nur Theater vorgespielt, als du kopfunter an dem Bücherregal standest und hinterher sagtest, man müsse die Welt auf den Kopf stellen?« In meine Verwunderung mischte sich Wut. »Du hast mich hereingelegt. Du wolltest, dass ich das Buch finde. Um selber nichts damit zu tun zu haben.«
    »Das ist richtig, Pavel. Und es ist falsch. Ja, ich wollte, dass dieses Tagebuch gefunden wird. Und zwar von dir. Aber lass mich erzählen. Ich verkroch mich seinerzeit tagelang in der Bücherei. Glaube mir, ich habe Angelas Buch Hunderte Male gelesen. Es hat mir die Seele verbrannt. Ich war an ihr schuldig geworden, und zugleich wollte ich Gerechtigkeit. Ich fällte ein Urteil und beschloss, jenen Mann zu töten, der Angela getötet hatte. Stephanescu sollte sterben. Er sollte stürzen, wenn er ganz oben war. Wie in der Bibel, wie in Marias Magnifikat. Und ich, Dimitru Carolea Gabor, der zu Angelas Lebzeiten nur ihr Fleisch sah, ich musste dafür sorgen, dass wenigstens ihre Prophezeiung in Erfüllung ging.«
    »Aber Angela hat sich geirrt«, unterbrach ich den Zigan. »Sie hat in ihrem Abschiedsbrief geschrieben, Stephanescus letzte Stunde habe geschlagen. Doch diese Stunde hat über dreißig Jahre gedauert.«
    »Pavel, mein Junge, wann lernst du endlich, richtig zu lesen?
    Immer exactamente. Angela hat Stephanescu nicht vorausgesagt: >Deine letzte Stunde hat geschlagen.< Sie schrieb: >Deine letzten Stunden sind eingeläutet.< Das ist ein Unterschied. Die Weichen für seinen Untergang waren gestellt. Wann er aus der Bahn fliegen würde, war eine Frage der Zeit. Er musste erst ganz oben sein. Aber du hast recht, Pavel, der Augenblick der Gerechtigkeit ließ lange auf sich warten.«
    »Und dieser Moment trat ein, als der Conducator fiel und Stephanescu sich als den sicheren Nachfolger feierte«, ergänzte Fritz. »Dimitru, ich verstehe nur nicht, wieso du darauf vertrauen konntest, dass Pavel, Buba und auch ich Stephanescu vom Thron stürzen würden. Außerdem, du hast diesem Menschen zwar den Krieg erklärt, aber du hast uns in die Schlacht geschickt. Du hast uns für deine Zwecke benutzt.«
    Dimitru antwortete nicht sofort. Er schaute zur Decke und murmelte still ein monotones »Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa«. »Ja, ihr wart mein Werkzeug. Und doch habt ihr auch eure eigene Schlacht geschlagen. Was hätte ich tun sollen? Ich sah keinen anderen Weg. Bis auf einen, doch den vermochte ich nicht zu gehen. Nachdem Angela hinter dem Friedhof verscharrt worden war, glaubten alle im Dorf, ich hätte mich in der Bücherei eingeschlossen. Aber ich bin durch den Schnee zu Fuß bis Kronauburg gelaufen. Bei den Zigeunern am Bahnhof habe ich mir eine Pistole besorgt. Ich wollte Stephanescu erschießen. Drei Tage wartete ich auf ihn auf dem Marktplatz. Aber er ließ sich nicht blicken. Ich bin dann im Dunkeln zu seiner Villa oben am Klosterberg hinaufgestiegen und habe den Klingelknopf gedrückt. Er stand vor mir, ich zog die Pistole, aber drückte nicht ab. Mich überfiel eine furchtbare Angst, wie nie zuvor und niemals danach. Stephanescu schaute mich an. Nicht entsetzt oder furchtsam. Nein, er lächelte. Ich hätte nur den Zeigefinger am Abzug bewegen müssen. Stephanescu wäre tot gewesen. Aber nicht der lächelnde Dämon. Er wäre in mich hineingefahren. Ich hatte nur Schmerz und Hass in mir, aber nichts, was mich vor dem Dämon beschützt hätte. Keinen Engel, keine Heiligen, keine Gottesmutter, nichts. Ich habe die Pistole weggeworfen und bin gerannt und gerannt ...
    Ich war nicht der Richtige, um Stephanescu zu stürzen. Es musste ein anderer tun. Jemand, dessen Auge das Unsichtbare sehen und dessen Ohr das Unhörbare hören konnte. Den stummen Schrei des Leids. Dieser
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