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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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untergebracht.
    Doch auch Bacanu verneinte, einen Ilja Botev zu kennen.
    Gewiss gebe es unter den dreihundert Patienten einige sehr betagte Männer, aber er könne sich nicht vorstellen, dass jemand zwei Jahrzehnte in Vadului hatte überleben können.
    »Kaum Essen. Und wenn, dünne Kohlsuppe. Keine Medikamente. Keine Heizung im Winter. Selbst wenn die Patienten ihre Krankheiten überleben, so sterben sie doch an der Lieblosigkeit. Sie vertrocknen wie Blumen ohne Wasser. Niemand will sie. Sie haben keinen Ort. Keinen Sinn und keinen Zweck. Nicht einmal den, an unser Mitleid zu rühren. Manche sind vollends aus der Welt getreten und spinnen sich in ihre eigene Wirklichkeit hinein. Als würden sie sich davor schützen, dass kein Nervenarzt sie in diese Realität zurückholt.«
    »So wie der Blinde im Bunker«, warf der Wärter ein, »der verrückte New Yorker.«
    Noch vor wenigen Tagen hatte Fritz Hofmann im Interconti gesagt: »Wenn ich den Schmerz der anderen sehe, fühle ich mich lebendig.« Als er die Stufen zu dem Kellerloch in Vadului hinabstieg, schämte er sich für diesen Satz.
    »Erschrecken Sie nicht«, sagte Doktor Bacanu und stieß die Tür zu einem leeren Kohlenbunker auf. Fritz trat ein. »Ich war schon einige Male bei ihm«, flüsterte Bacanu. »Aber er spricht nicht. Ich lasse sie jetzt mit dem Herrn allein. Vielleicht finden Sie ja das Zauberwort, das ihn aus seinem Verstummen erlöst.«
    »Okay!«
    Fritz Hofmann hatte damit das erlösende Wort schon gesprochen.
    Ein Bündel Mensch hob sein Haupt in seine Richtung. »Du kommst aus Amerika?«
    Der Mensch saß im Schatten. Hinter seinem Rücken fiel aus dem schmalen Schlitz eines Schachtes ein Lichtstrahl auf die schwarze Wand gegenüber. In den nackten Stein war vor langer Zeit etwas eingekratzt worden. Die Kontur der Freiheitsstatue. Als Fritz sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, sah er, dass links und rechts neben Ilja die Umrisse von Wolkenkratzern auf die Wand gekritzelt waren.
    »Du antwortest nicht. Sag! Kommst du aus Amerika?« »Ja. Ich komme aus Amerika. Aus New York.«
    »Kann ich dir trauen? Kennst du meinen Namen? Weißt du, woher ich komme?«
    »Du bist Ilja Botev. Schankwirt aus Baia Luna. Dein Enkel Pavel ist hier. Er will dich nach Hause holen. Ich bin sein Freund. Ich heiße Fritz, und du kannst mir trauen.«
    »Ich sehe dich nicht, doch ich kenne deine Stimme. Pavel holt mich nicht nach Hause. Er ist müde. Ich traue dir nicht. Du willst meine Mission verhindern.«
    »Dein Freund Dimitru, er wartet auch auf dich.«
    »Dimitru wird mich nie im Stich lassen. Niemals. Wir sind Freunde. Aber du! Du weißt zu viel. Du willst mich aushorchen. Aber ich werde nichts verraten.«
    »Vertrau mir, Ilja. Der Conducator ist tot. Du bist frei. Du kannst nach Hause, Ilja. Alle warten auf dich. Dimitru, Pavel, Kathalina, auch deine Tochter Antonia. Deine Mission ist beendet.«
    »Der Conducator ist tot, sagst du? Nein, nein. Er lebt. Er ist ein Titan! Du willst mich reinlegen. Dich schickt der Vatikan, die Vierte Macht. Sie will die Madonna vernichten. Die Jüdin, die leibhaftig Auferstandene.«
    »Vergiss die Vierte Macht. Die ist viel zu schwach. Die Muttergottes ist viel, viel stärker. Ihr geht es gut.«
    »Und der Conducator? Hat ihm der amerikanische Präsident geholfen? Haben sie die Madonna gerettet? Ist mein Brief angekommen? «
    »Na klar. Dein Brief ist in die richtigen Hände geraten. Alles ist okay. Glaub mir. Vor seinem Tod hat der Conducator alles geregelt. Was kann schon eine Vierte Macht gegen einen Mann ausrichten, der selbst der Sonne trotzt? Der Conducator hat im Vatikan sogar einen neuen Papst eingesetzt. Einen Polen. Der hat den Schutz der Muttergottes zur Chefsache erklärt. Glaub mir, der Frau auf dem Mond geht es gut. Alles bestens. Die Madonna vom Ewigen Trost kehrt schon bald nach Baia Luna zurück. Und das Ewige Licht leuchtet auch wieder.« »Du lügst. Dich schickt der Wachenwerther. Du bist ein Spitzel aus Rom. Beweis mir, dass du aus Amerika kommst!«
    Fritz griff in seine Jacke und zog ein paar Dollarnoten hervor. Als er dem Alten die Scheine reichen wollte, fiel etwas zu Boden. Es glänzte silbern. Hofmann steckte das Geld wieder ein, hob den Kaugummistreifen auf und drückte ihn Ilja fest in beide Hände.
    Vorsichtig befühlte Ilja Botev das Silberpapier wie ein Kleinod. Dann bog er den Streifen langsam hin und her, wickelte den Kaugummi aus und beschnüffelte ihn mit seiner Nase. Er nickte, schob ihn in den Mund
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