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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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Pfarrer Johannes Baptiste einst Ilja Botev geschenkt hatte. »Ich bin keine kluge Frau«, sagte sie, »aber meinen lieben Mann Dimitru trifft keine Schuld. Hunderte Male habe ich ihm das schon gesagt, aber er hört nicht auf mich. Tausende Male habe ich ihm gesagt, dieser Apostel Johannes, dieser Bibelschreiber, der hat die ganze Misere zu verantworten. Nur er. Weil er im Alter verrückt wurde. In jungen Jahren, da war er noch bei lichtem Verstand, da schreibt er in sein Evangelium, niemand sei in den Himmel aufgefahren außer dem Menschensohn. Aber nicht Maria, die Mutter vom Jesus. Die nicht. Und dann hat der Johannes sein Leben lang gewartet, dass sein Herr Jesus Christus nach der Kreuzigung wieder zur Erde hinabsteigt, um das Reich Gottes aufzubauen. Aber der Jesus kam nicht. Daran wurde Johannes irre. Bevor er verschied, hatte er diese Offenbarung und sah alle die verrückten Sachen und die bösen Tiere, die immer Feuer spucken.« Antonia klopfte auf die Bibel. »Ich habe das alles gelesen. Hier steht es drin. Der alte Evangelist will am Ende seiner Tage eine Frau auf dem Mond gesehen haben, geschmückt mit der Sonne und einem Sternenkranz. Erst keine Himmelfahrt, dann plötzlich doch eine. Mal hü, mal hott. Daran ist mein armer Dimi ganz krank geworden.«
    »Zeig mal her.« Fritz Hofmann nahm die Bibel.
    »Du musst ganz hinten nachschauen. Kapitel zwölf«, sagte Antonia.
    Fritz las laut: »>Und ein großes Zeichen erschien im Himmel, ein Weib, angetan mit der Sonne, und der Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen. Und sie ist s chwanger und schreit ...< Und vorher hat dieser Johannes behauptet, keine Frau, allein Jesus sei in den Himmel aufgefahren? «
    »So ist es«, sagte Dimitru. »Aber da war der Johannes noch klar im Kopf.«
    »Ich verstehe das Problem nicht«, meinte Fritz. »Mal angenommen, rein hypothetisch natürlich, das, was in der Bibel steht, stimmt, dann hätte Johannes möglicherweise beide Male die Wahrheit gesagt.«
    Dimitru schnellte hoch. »Fritz, wie meinst du das?« »Völlig logisch. Denk dialektisch! These: Maria ist nicht in den Himmel aufgefahren. Punkt. Antithese: Johannes sieht auf dem Mond eine Frau mit einem Kranz von zwölf Sternen. Punkt.«
    »Und die Synthese?« Der Zigan vibrierte vor Aufregung. »Fritz! Wie lautet deine Synthese?«
    »Die Frau, die Johannes mit dem Mond unter den Füßen gesehen hat, ist nicht Maria.«
    Dimitru strahlte. Ich sah, dass nicht nur seine Augen wieder blitzten wie früher, auch der Umfang seines Leibes nahm ein beachtliches Stück zu.
    »Fritz, mein Sohn, das ist die klügste Wenn-Dann-Conclusio, die ich je aus dem Mund eines Heiden gehört habe. Ihr müsst wissen, diese Frau auf dem Mond - ich sah sie einst. Als ich mit meinem Freunde Ilja am Mondberg von Baia Luna durch ein Teleskop geblickt habe. Wie diese Frau ausgesehen hat? Ich weiß es nicht mehr. Es ist so lange her. Ich weiß nur, dass sie schön war. Aber vielleicht war es nicht Maria. Johannes war nicht verrückt. Ich sah eine andere Frau. Bloß wen? Ich weiß es n icht. Und mein Freund hat von al l dem keine Ahnung! Ilja!« Dimitru klagte aus tiefster Not. »Mein geliebter Ilja. Ich muss dir was sagen. Ilja, es war nicht Maria. Ilja, wo bist du? Ich sehe dich nicht. Zeig dich! So sag mir doch endlich, wo du bist.«
    Ich nahm Bubas Hand. »Kannst du meinen Großvater sehen? Kannst du es versuchen?«
    Buba erhob sich. »In Italien hat der Andere Blick nie funktioniert.« Dann trat sie ans Fenster, schaute hinaus und schloss die Augen. Sie faltete ihre Hände. Kein Laut war zu hören, nur in weiter Ferne heulte dünn eine Sirene.
    Eine Stunde stand Buba regungslos. Dann sprach sie: »Hinten sind hohe Häuser. Sie reichen bis in den Himmel und berühren die Wolken. Die Wolken sind aus Asche und Rauch. Da ist eine Frau. Sie ist riesig. Sie trägt eine Fackel in der Hand.
    Ilja sitzt zu ihren Füßen. Er blickt zu ihr auf, aber sie blickt nicht zurück. Sie starrt zu den hohen Häusern. Sie stürzen ein. Die Frau weint. Die Sonne scheint, doch es ist kalt. Ilja friert. Er, er ist nicht wirklich. Die Sonne scheint hell, aber Ilja wirft keinen Schatten.«
    Buba öffnete die Augen und sank auf den Teppich.
    »In Amerika?«, fragte ich ungläubig. »Ist Großvater etwa bei der Fackelmadonna in New York?«
    »Dann hätte Buba einen Schatten sehen müssen«, antwortete Dimitru. »An welchem Ort bloß wirft Ilja keinen Schatten? In der Antwort liegt der Schlüssel
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