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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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geglaubt. Deshalb hat er doch mit Dimitru die Madonna am Himmel gesucht. Auf dem Mond! Sie finden das abwegig? Nein, nein, junger Mann! Mein Vater Ilja und Dimi waren ebenso wenig umnachtet wie der Evangelist Johannes. Mein Dimitru war ein kluger Mensch. Kann sein, dass bei meinem Vater die Gehirnströme manchmal aus dem Takt gerieten. Aber das rührte daher, dass er an der Fallsucht litt und es keine Tabletten mehr gab.
    An einem Dienstag, es war nach der Revolution am 27. Dezember im Jahr '89, da haben wir Ilja gefunden. Das heißt, der Hofmann Fritz, der hat ihn entdeckt. Stellen Sie sich vor, zwanzig Jahre hat mein Vater in einem dunklen Kellerloch gehaust. Wir haben uns bei seinem Anblick alle fürchterlich erschrocken. Ich habe ihn erst einmal stundenlang geschrubbt, damit er wieder wie ein Mensch ausschaut, und der Fritz hat ihm von seinen Kleidern geschenkt.
    Mein Dimitru war todtraurig. Sein Freund Ilja hat ihn zuerst nicht wiedererkannt. Vater war blind und erinnerte sich an nichts und niemanden mehr. Auch an mich nicht. Und auch nicht an seine Schwiegertochter Kathalina und seinen Enkel Pavel. Zumindest tat Vater so, als würde er uns nicht erkennen. Er war misstrauisch. Doch einen Tag nach seiner Rückkehr hier ins Dorf geschah das Wunder. Was? Sie glauben nicht an Wunder? Dann will ich Ihnen mal was erzählen.
    Genau am 28. Dezember, das ist der Tag der unschuldigen Kinder, kam unsere Madonna vom Ewigen Trost wieder ins Dorf zurück. Der Petre Petrov hat sie auf seinen Schultern eigenhändig hierhergeschleppt. Und die ist schwer, das sag ich Ihnen. Über dreißig Jahre war sie verschollen. Doch alles kommt irgendwann ans Licht. Die Sekurität aus Kronauburg hatte die Madonna gestohlen. Aber sie war wohl nicht so wertvoll, dass irgendein Reicher Geld für sie bezahlt hätte. Petre hat sie ganz verstaubt im Keller der staatlichen Sicherheit gefunden. Als er am Nachmittag mit der Maria ins Dorf einzog, was glauben Sie, was da los war. Ein Jubel ohne Ende. Der Pfarrer Wachenwerther verlangte, dass Petre die Madonna in die Kirche bringt. Dann hat sich mein Neffe Pavel eingemischt. Er hat sich Petres Karabiner geschnappt, ihn dem Wachenwerther unters Kinn gehalten und gesagt: >Deine Zeit hier ist um. In einer Stunde bist du verschwunden.< Hinterher hat mir Pavel erzählt, dass der Karabiner gar nicht geladen war, weil Petre in der Hauptstadt während der Revolution sämtliche Patronen verschossen hatte. Auf jeden Fall saß der Wachenwerther eine Stunde später in seinem Volkswagen. Und ab, Richtung Österreich. Der Petre Petrov hat die Madonna dann erst mal in unserer alten Schankbutike auf die Theke gestellt. Dann geschah das Wunder.«
    »Oui, Madame Gabor. Und jetzt erzählen Sie mir gewiss, Ihr Vater Ilja konnte plötzlich wieder sehen.«
    »Ach, wo denken Sie hin. Nein, er blieb blind, und er starb blind. Noch in der darauffolgenden Nacht. Aber er starb als glücklicher Mensch. Er war erlöst. Wegen der Madonna. Als sie in unserem Ladenlokal stand, hat Dimitru Ilja bei der Hand genommen und ihn zu ihr hingeführt. Mein Vater hat die Figur ganz vorsichtig betastet. Eine halbe Ewigkeit. Ich glaube, er hat geprüft, ob es auch wirklich die echte ist. Zuerst das Gesicht, dann die riesigen Brüste, dann das kleine Jesuskind und zuletzt die Mondsichel unter ihrem Fuß. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, aber als mein Vater diese komische Sichel befühlte, da hat er geleuchtet. Er erkannte die Madonna wieder. In dem Moment rief er uns alle beim Namen: Pavel, Kathalina, mich, sogar den Hofmann Fritz und Buba Gabor. Und natürlich seinen Dimitru. Die beiden fielen sich in die Arme, und Ilja sagte, nun könne er endlich seine letzte Reise antreten. Ihre Mission sei erfüllt. Aber wenn Sie mich jetzt fragen, auf was für einer Mission Ilja und Dimitru unterwegs waren, da weiß ich nicht so recht darüber Bescheid. Wenn es um die Maria ging, da waren die beiden richtige Geheimniskrämer. Wie Freunde eben so sind, wenn sie ständig ... «
    Mitten im Satz rissen die Tonbandmitschnitte ab. Auf weitere Aufzeichnungen mit Antonia Carolea Gabor hatte der Reporter aus Paris verzichtet.
    Am Abend des Tages der unschuldigen Kinder äußerte mein Großvater Ilja seinen letzten Wunsch. Er bat seine Verwandten und seinen Freund Dimitru, man möge ihn unter freiem Himmel sterben lassen. Genau an der Stelle, wo alles begonnen hatte, an dem frühen Morgen seines fünfundfünfzigsten Geburtstags.
    Zusammen mit Fritz
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