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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage
Autoren: Almut Irmscher
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Kindergartenspielchen machen, das ist doch keine veritable Herausforderung!
    *
    Ich landete in einem Ferienclub auf Gran Canaria. Diese Insel ist so hässlich, ich habe nie verstanden, warum man freiwillig hier herkommt. Die grässlichen, betongrauen Bettenburgen und das staubig-trostlose Landesinnere, furchtbar! Endlos fährt man durch Geröllwüsten, nichts, aber auch gar nichts Einladendes gibt es hier. Das einzig Reizvolle sind der Strand und das Meer. Dort finden sich die Feriengäste, nachdem sie ausgeschlafen und ausgiebig gefrühstückt haben, wenn sie es nicht bevorzugen, der Einfachheit halber am ferienanlageneigenen Pool zu bleiben. Sie liegen den ganzen Tag herum und lassen sich die Sonne auf ihre übergewichtigen Bäuche scheinen. Und vielleicht ist es auch besser, wenn sie sich nicht so genau umsehen.
    Denn die berühmten Dünen im Süden der Insel sind ein öffentlicher Schauplatz der Schwulen. Wer eine Düne für sich erobert hat, der präsentiert sich wie ein Gockel auf ihrem Kamm, bekleidet nur mit einer Kappe. Die spezielle Farbe der Kappe und die Art, wie sie getragen wird, scheinen eine intime Botschaft zu übermitteln. Welche das ist, habe ich nie herausgefunden, ich betrachtete die fremde, suspekte Welt mit Argwohn, sie war mir unheimlich. Und doch faszinierte sie mich auf eine mysteriöse Art. Immer wieder ging ich in meiner freien Zeit zu diesen Dünen und beobachtete heimlich die Nackten auf ihren Bergen aus Sand, getrieben von einem unerklärlichen Voyeurismus. Ihre geheimnisvolle Sprache hat sich mir dabei allerdings nie erschlossen. Das ist ja auch egal, denn ich bin nicht schwul. Außerdem bin ich kein Mann. Und für meine kohlgesichtigen Animationsobjekte ist diese bizarre Welt ohnehin nichts. Da ist es schon besser, dass sie in der kleinen, geschützten Welt ihres Ferienclubs bleiben. Man stelle sich vor, ein schwuler Typ hätte eine obszöne Geste gegenüber Heinz-Georg aus Wanne-Eickel gemacht. Nicht auszudenken!
    Deshalb bleiben die meisten Urlauber am Pool, stürmen mittags das Buffet, laden sich die Teller so voll wie irgend möglich und fläzen sich dann wieder auf ihren Sonnenliegen herum. Abends hängen sie dann an der Bar und geben sich die Kante. Stumpfsinn pur.
    Mal ehrlich, die konnten froh sein, dass sie mich hatten. Ich war der einzige Lichtblick, der einzige Aspekt, der Abwechslung, ja, eine gewisse Herausforderung in dieses dumpfe tägliche Einerlei brachte. Insofern war ich fast eine Art Samariterin, ich bewahrte die Menschen davor, in ihrem ganzlosen, fahlen Urlaub mangels geistiger Betätigung noch mehr Gehirnzellen zu verlieren. Ich müsste einen Heiligenschein haben, oder?
    Der Ferienclub war ziemlich groß, eigentlich ein abgeschlossenes Dorf für sich, mit mehreren Pools, Bars, Veranstaltungsbühnen, einem Kino, einigen Boutiquen, Kindergarten, Disco, Kosmetikstudio und Sauna. Um all das scharten sich unzählige Einheitsbungalows, die die ankommenden Bleichgesichter verschluckten und nach ein oder zwei Wochen sonnengebräunt, mehr oder weniger entspannt, aber vor allem gut animiert wieder Richtung Norden ausspien. Es war im Grunde gar nicht nötig, diese in sich autarke Ferieninsel zu verlassen, es sei denn, man wollte nicht darauf verzichten, den Strand zu besuchen. Dafür stand ein Shuttlebus bereit. Und die meisten Gäste taten tatsächlich nichts anderes. Ihr Urlaub fand innerhalb dieses sicheren Refugiums statt, unterbrochen bestenfalls von zwei oder drei gut organisierten Strandbesuchen. Wozu sollte man sich auch den unberechenbaren Einheimischen aussetzen?
    Wo waren die überhaupt? Ja, eigentlich wäre die Frage gewesen, ob es sie überhaupt gab. Abgesehen von den Leuten, die im Club arbeiteten, habe ich recht wenige davon getroffen. Und die im Club waren Putzfrauen, Gärtner, Poolwarte und Küchenhilfen. Die besseren Jobs besetzten Zugereiste, so wie ich, die neue Staranimateurin. Und das war mir auch lieber so. Schließlich konnte ich noch kaum Spanisch. Woran ich allerdings arbeitete. Sicher ist sicher, man weiß ja nie.
    *
    Ich hatte einen zweiwöchigen Crashkurs des Reiseveranstalters für angehende Animateure absolviert und wusste nun alles über Ententanz, Badeschlappen-Boccia, Gläser-Dart, Wasserbomben-Weitwurf, Arschbomben-Wettbewerbe, Luftmatratzen-Slide oder Luftballon-Rasieren. Ein Halleluja auf den Schwachsinn! Wenn ich an die aufgequollenen, käsebleichen Fettsäcke mit schütterem Haupthaar denke, oder all die hausbackenen,
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