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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage
Autoren: Almut Irmscher
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küssen, er sagte, wie schön ich aussehe im sanften Licht der Abendsonne, er redete irgendetwas von Sternen und tausend Lichtern und dem weiten, blauen Meer, mir wurde es ganz schwindelig. Und ich wollte mich nicht zu ihm setzen, ich bin doch nicht verrückt! Der Idiot versuchte mich zu locken, er lachte über meine Angst, machte sich über mich lustig, der blöde Typ.
    Und dann ging alles so schnell, dass ich gar nicht mehr genau weiß, was eigentlich passiert ist. Es war wie ein Film, ein Automatismus hatte sich in Gang gesetzt und wirklich, ich hatte keinen Einfluss auf das, was geschah. Ich war nur eine Marionette, die Fäden zog ein boshafter Spieler, der mir keine Zeit ließ, einzuschreiten. Dazu ging es einfach zu schnell. Ich kann nichts dazu, ganz ehrlich!
    Salvatore ist aufgestanden und hat sich auf die Mauer gestellt. Er hat gelacht, sich umgedreht und in die Tiefe geschaut, dabei hat er weitergelacht und sich über mich lustig gemacht, wie kann man so gemein und so blöd sein! Wie ein alberner Protagonist in einem drittklassigen B-Movie, der zeigt, was für ein begehrenswerter Pfau er ist! Da bin ich auf ihn zu und hab ihn geschubst. Ich meine, mal im Ernst, das war er doch selber schuld, oder?
    Es war wie eine Eisenfaust, so eine, die man aus Ritterfilmen oder staubig-gruseligen Museen kennt, die blitzschnell und gnadenlos mein Herz umschloss, im gleichen Augenblick, als ich begriff, was ich getan hatte. Jetzt musste ich sehen, wie ich aus der Nummer wieder rauskam. Ich habe gleich laut „ Aiuto “ gebrüllt, Hilfe! Ich hab die Notfallnummer mit zitternden Fingern gewählt und hysterisch in mein Handy gebrüllt. Als die ersten Leute gelaufen kamen, war ich völlig aufgelöst, hilf- und fassungslos. Ich denke, das kam schon gut rüber. Vielleicht wäre ich besser Schauspielerin geworden.
    Sie haben mich dann getröstet, mich mit Armen und Worten umschlungen, mir Taschentücher gereicht und mich zum dem kleinen Krankenhaus in Castiglione gefahren, nachdem sie Salvatore hochgeholt hatten. Der Typ ist sogar zu blöd zum Sterben, ernsthaft, das ist nicht zu fassen. Da ging es gar nicht steil hinunter, nein, da waren Felsvorsprünge und Gestrüpp, und da ist er irgendwo hängen geblieben. Das ist ein ganz schöner Mist. Und ich sitze mittendrin. Und mitten in diesem abgeranzten Kabuff, das sich „Krankenhaus“ schimpft. Dabei ist es ein vergammeltes Dreckloch, als wäre man im hintersten Dschungel der letzten afrikanischen Zulukaffer-Republik gelandet. Was mache ich hier, hier wollte ich nie wieder hinein! Warum nimmt man sich immer wieder vor, dass etwas nie wieder geschieht, und dann schlägt plötzlich alles über einem zusammen und man steckt mitten im schönsten, altbekannten Schlamassel?
    Salvatore wird operiert. Sie haben mir noch nichts gesagt, aber die Vorzeichen sind doch eigentlich ganz gut. Dieses Krankenhaus ist das allerletzte, niemand will hier sein, wenn es wirklich ernst ist, und es ist ernst mit Salvatore. Er ist bewusstlos, einige Glieder waren ziemlich verdreht. Es sieht schlecht aus mit Salvatore. Sehr schlecht. Die werden das schon hinkriegen, da bin ich mir ziemlich sicher. Kein ernstlich kranker Patient verlässt dieses Krankenhaus lebend! Die müssen das einfach auf die Reihe bekommen. Denn sonst bin ich geliefert. Ein für alle Mal. Und Bimbi wird im Knast geboren. Auch Bimbi wäre geliefert. Das könnte doch selbst Salvatore nicht wollen, oder? Eltern geben sich hin für ihre Kinder, ist es nicht so?
    Lässt man den Frauen im Gefängnis eigentlich ihre Kinder? Ich meine, wachsen die dann im Knast auf? Oder kommen die in ein Heim? Darüber habe ich noch nie nachgedacht. In was bin ich da nur hineingeraten? Am besten würde ich abhauen. Aber wohin?
    *
    Im Grunde wusste ich nie so recht, was ich mit meinem Leben anstellen sollte. Ich habe keine besonderen Talente, ich sehe nur durchschnittlich aus, ach, eigentlich überwiegen die Dinge, die ich nicht so gut kann, vor denen, die mir liegen. In der Schule war ich nicht besonders beliebt, warum auch. Ich war weder smart noch apart, weder besonders intelligent noch übermäßig sportlich. Ich war einfach so eine Durchschnittsmaus. Ziemlich grau.
    Die anderen Zicken haben mich immer an den Rand gestellt. Da war immer eine, die angesagter war als ich. Hübscher, begehrter, souveräner. Ich war nur das graue Gespenst am Rande. Wenn wirklich etwas abging, kam keiner auf die Idee, ausgerechnet mich mitzunehmen. Ich war so überflüssig wie
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