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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage
Autoren: Almut Irmscher
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rettungsberingten Tussis mit ihren eingefärbten Topffrisuren, die sich da zum Affen machten! Aber ich war wichtig. Endlich hatte ich eine herausragende Position gefunden. Alle liebten mich, ich war die Stimmungskanone, die den null-acht-fuffzehn Katalogurlaub zu etwas Besonderem machte.
    Ich fühlte mich einfach großartig. Unter meiner Fuchtel wurden Erwachsene zu kleinen Kindern, die bewundernd zu mir aufschauten. Ich war die Meisterin, die Herrscherin des Urlaubsuniversums. Mein Wort war Gesetz.
    Oh, ich verachtete sie, all diese armseligen, nordischen Bleichgesichter. Die das ganze Jahr ackerten, gefangen waren in ihrem grauen Alltagstrott wie Hamster in ihren Laufrädern, und die nun, einmal, nur für wenige Tage, auf die sie bitterlich hingespart hatten, ausbrachen, in der armseligen Hoffnung, dies sei das Besondere, der Peak des Jahres, das einzigartige Highlight, das die ganze durstige Wüste des Alltags krönen und lohnen würde. Was für ein Leben!
    Ich fand sie lächerlich, aber eine Zeitlang genoss ich es, Macht über sie zu haben, sie zu beobachten und abzuschätzen. Dann begann es, mich zu langweilen. Außerdem fand ich es mehr als lästig, dass gewisse männliche Personen es sich herausnahmen, hemmungslos mit mir zu flirten, schlüpfrige Bemerkungen zu machen und scheinbar zufällig bei jeder passenden und vor allem jeder unpassenden Gelegenheit meinten, mich berühren oder gar begrapschen zu müssen. Diese Typen widerten mich gelinde gesagt an.
    Die Clubleitung hatte uns allerdings strikte Umgangsregeln an die Hand gegeben. Im Klartext bedeuteten die nichts anderes, als dass wir diese Anzüglichkeiten hinzunehmen hatten, um den Gast, der für die kurze Zeit seines Aufenthaltes der König ist, bevor er in seinen staubigen Alltag zurückkehrt, nicht zu frustrieren und keiner Illusionen zu berauben. Zwar war es keineswegs erwünscht, dass solche Techtelmechtel tiefergehende Züge annahmen und etwa in sexuelle Kontakte ausarteten. Ausdrücklich verboten war aber auch das nicht. Mit anderen Worten: Ich fühlte mich den brünstigen, alternden Vorstadtpapagalli hilflos ausgeliefert. Das fand ich gelinde gesagt zum Kotzen. Mein Job begann mir langsam, aber sicher, zum Halse herauszuhängen. An dieser Stelle kam Mario ins Spiel.
    *
    Mario war Italiener, er kam aus Salerno. Er arbeitete für einen italienischen Reiseveranstalter. Warum Italiener ausgerechnet auf Gran Canaria Urlaub machen wollten, erschloss sich mir nicht. Sie haben doch selbst ein sonnengeküsstes Land, das noch dazu schön ist. Ich erfuhr aber von Mario, dass es in Italien zur Winterzeit durchaus recht frostig sein kann. Außerdem regnet es andauernd. Und genau aus diesem Grund fliehen manche Italiener im dunklen Halbjahr noch weiter in den Süden. Ein paar davon verirren sich auch auf die Kanaren. Um denen den Aufenthalt zu versüßen, wurde Mario eingeflogen. Es war September, als er eintraf.
    In den ersten Wochen hatte Mario noch nicht so viel zu tun. Italiener tauchten nur vereinzelt auf und schienen kein Interesse daran zu haben, animiert zu werden. Mario verschlief den halben Tag und erschien meist erst gegen Nachmittag am Pool. Manchmal mischte er sich unter meine Animationsgruppen und wirbelte diese ziemlich auf. Er stellte sich entweder absichtlich trottelig an, oder er äffte andere Teilnehmer hinter deren Rücken auf wirklich komische Weise nach. Mario brachte mich zum Lachen, das Leben hatte wieder einen Sinn.
    Mario war ein Italiener wie aus dem Bilderbuch. Braun gebrannt, mit muskulösem, stahlglänzendem Oberkörper, die dunklen Haare hingen ihm ein bisschen verwegen über den hohen Wangenknochen ins dreitagebärtige Gesicht, seine dunklen Augen blickten leicht wehmütig unter der Sonnenbrille hervor und verhießen eine tiefe, ernsthafte, aufrichtige Seele, danach hungernd, zu lieben und geliebt zu werden. Ich verliebte mich auf der Stelle.
    Der einzige Nachteil war, dass Mario weder Deutsch noch Englisch sprach und auch vom Spanischen, das ich mittlerweile leidlich beherrschte, nur ein paar Bröckchen zustande brachte. Im Wesentlichen verständigte er sich eigentlich dadurch, dass er an die italienischen Wörter gelegentlich ein ihm spanisch vorkommendes „os“ anhängte. Damit kam er erstaunlich gut zurecht. Unsere Gespräche verliefen hingegen anfangs arg schleppend, denn ich für meinen Teil sprach kein Italienisch. Gewisse Dinge funktionieren aber glücklicherweise auch ohne Worte ganz gut.
    *
    Die erste Zeit unserer
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