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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage
Autoren: Almut Irmscher
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davon verfügbar war. Man hätte den Leute im Supermarkt Nummern auf die Unterarme geschrieben, um die Reihenfolge der Abfertigung festzulegen. Was für eine Schande für ein Land, das so wohlhabend sein könnte, wenn nicht so viel Korruption herrschen würde. Wie viel besser sei doch Italien! Und wie fruchtbar unser gemeinsames Unternehmen!
    Francescos Söhne arbeiten daran, eine Filiale unseres Restaurants in Sorrent zu eröffnen. Expansion finde ich gut.
    Tafari und ich hingegen genießen es aber besonders, die phantastische Küstenstraße entlangzufahren, am Strand von Positano vor der Bar zu sitzen und Margherita zu schlürfen, mit dem Boot zum Shoppen nach Capri überzusetzen, die Oper in Neapel zu besuchen oder im romantischen Garten der Villa Cimbrone in Ravello wie in einem Adlerhorst hoch über der Traumküste zu sitzen und gepflegt zu speisen. In diesem Jahr werde ich dreißig. Ich finde, dass ich mir damit auch ein paar Annehmlichkeiten verdient habe. Schließlich habe ich doch auch schon einiges zuwege gebracht, in diesem letzten Jahrzehnt. Die davor zählen ja nicht wirklich mit.
    Wir haben den Cinquecento verkauft, der war uns zu profan. Jetzt fahren wir ein schönes, dunkles BMW-Cabrio, obwohl es für unsere engen Straßen fast zu groß ist. Aber wir brauchen Platz im Auto, denn im Spätsommer kommt unser Sohn zu Welt. Ich gehe jetzt nämlich zu einem Gynäkologen in Neapel, der hat auch ein Ultraschallgerät. Wir wollen den Kleinen Dereje nennen, das ist ein alter äthiopischer Name.
    Im Mai werden wir heiraten. Unser Pfarrer sieht kein Problem darin, besonders, seit wir ihm das neue Taufbecken spendiert haben. Von einem Vorbereitungskurs hat er auch nichts gesagt.
    Bei meiner letzten Hochzeit waren es zweihundert Gäste und ich dachte, das sei viel gewesen. Nun erwarten wir um die vierhundert. Die Maßstäbe im Leben verändern sich nun mal.
    Corinna wird mit ihrem Chirurgen aus Deutschland kommen, ich glaube, mit den beiden ist es etwas Ernstes. Auch Tom gibt uns übrigens die Ehre. Er informiert Heinz-Rupert regelmäßig über die Entwicklungen in Köln. Und ganz nebenbei, sozusagen als Bonus, auch mich. Joe wurde im letzten Herbst entlassen, hat er in Erfahrung gebracht. Was dann aus ihm geworden ist, weiß er allerdings nicht. Gerüchte sagen, dass er in den Osten gegangen ist. Wegen mir wurde nichts weiter unternommen. Die Nachforschungen der Polizei waren irgendwann einfach eingeschlafen. Alles, was uns im Leben quält, kommt irgendwann zur Ruhe.
    So ist mein Vater 2010 gestorben, und seitdem habe ich meiner Mutter ab und an geschrieben. Das entgangene Erbe interessiert mich jetzt wirklich nicht mehr. Da kann ich nur noch drüber lachen. Letztes Jahr hat meine Mutter uns sogar mal für ein paar Tage besucht, weil sie von ihrer fiktiven Krankheit inzwischen ganz gut genesen ist. Sie war völlig entzückt von ihrer Enkelin. Alter und Einsamkeit machen manche Menschen bitter, andere werden milde. Bei ihr scheint Letzteres der Fall zu sein. Deshalb habe ich sie kurzerhand zur Hochzeit eingeladen. Man soll ja nicht nachtragend sein.
    Aus diesem Grund lasse ich es auch zu, dass Gianni unsere Hochzeit ausrichten wird. Das hat er sich nicht nehmen lassen. Es wird ein Fest, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, versprach er uns.
    Da bin ich mir ganz sicher.
     
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