Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage
Autoren: Almut Irmscher
Vom Netzwerk:
Zweisamkeit war wundervoll. Die Tage mit meinen übergewichtigen, fahlen Arbeitsobjekten, den spießigen Teutonen aus dem Norden, vergingen wie im Flug, und weil ich wie auf Sprungfedern herumwirbelte, hell strahlend vor Glück, war ich beliebter denn je. Ich lernte nun nicht nur Spanisch, sondern dank Mario auch Italienisch. Das fiel mir nicht sonderlich schwer, Sprachen fliegen mir einfach zu. Unsere Gespräche wurden zusehends flüssiger.
    An den Abenden traf ich Mario an der Poolbar, wo wir uns an Margheritas labten. Nach drei oder vier Gläsern hatte sich zu meinem Liebesrausch auch ein gehöriger Alkoholrausch gesellt, sodass ich endgültig den Gipfel der rosa Wolke erklommen zu haben vermeinte. Wir badeten bei Mondschein nackt im Meer und liebten uns am Strand. Es war herrlich. Zumindest eine Zeitlang. Auf die Dauer ist Liebe am Strand nämlich nicht die ideale Lösung. Es ist ziemlich sandig. Und der Sand klebt in allen Ritzen. Zusammen mit Körpersäften ergibt das keine erquickliche Mischung. Es schien fast, je besser wir uns mit Worten verstanden, desto widerspenstiger reagierten unsere Körper.
    Wir hatten natürlich noch unsere eigenen Zimmer, wenngleich die ziemlich unromantisch waren. Die Schlafräume der Animateure lagen an einem schäbigen Hof hinter der Küche, wo es immer nach dem ranzigen Bratfett roch, in dem früh morgens die Churros, mittags die Pommes Frites und abends die Gambas frittiert wurden. Sie hatten nur Oberlichter und waren, weil man nicht richtig lüften konnte, stickig und viel zu warm. Außerdem waren sie eng und hatten hässliche, ausgeblichene Tapeten, auf die schematisierte kleine Surfer aufgedruckt waren. Das hatte wohl einstmals modern und progressiv wirken sollen, für mich waren es aber nur wässrige, wahnsinnig gewordene Haie, die über meine Wände irrten und mich bis in meine Träume als schattenhafte Geister verfolgten. Er war gelinde gesagt nicht sehr reizvoll. Und schon gar nicht erotisierend.
    Weil wir aber keine andere Wahl hatten, zogen wir uns in unsere Zimmer zurück, um Liebe zu machen, oder fare l’ amore , wie mein Latin Lover mir zu fortgeschrittener Stunde zuzuraunen pflegte. Es mag das dumpfe Ambiente dieser Räumlichkeiten gewesen sein, das dazu führte, dass meine Leidenschaft abzukühlen begann, vielleicht war es aber auch den zweifelhaften Liebeskünsten meines Mario geschuldet. Denn nachdem der erste Rausch verfolgen war, stellte sich eine gewisse Ermüdung ein, das Liebesspiel geriet zum Routineakt. Besonders einfallsreich war er jedenfalls nicht, von südländisch-heißem Temperament merkte ich nicht viel. Außerdem war er meistens schon zu betrunken, sodass er bestenfalls einen Quickie zustande brachte. Manchmal gelang ihm nicht mal mehr das. Ich begann mich schon wieder zu langweilen.
    *
    Es war um diese Zeit herum, als Mario mich eines Abends nach der zweiten oder dritten Margherita fragte, ob ich nicht Lust auf ein bisschen Abenteuer hätte. Mein müder Geist spitzte sofort die Ohren. Abenteuer. Das wäre genau das Richtige!
    Mit verschwörerisch gesenkter Stimme erklärte mir Mario seinen Plan. Immer wieder hatte ich ihm mein Leid mit den notgeilen Gästen geklagt, die nicht davor zurückschreckten, mir ihre erbärmlichen Avancen aufzunötigen. Das hatte ihn auf eine Idee gebracht. Ich sollte mir einen solchen Bock aussuchen und mit vielversprechenden Worten zu später Stunde in die Kellerbar einladen, für die Mario seit einigen Tagen als Barkeeper abbestellt war. Spät am Abend war die Kellerbar meist verödet, die Clubgäste bevorzugten entweder die Poolbar oder die Disco, falls sie nicht schon volltrunken an ihrer Matratze horchten.
    Sodann sollte ich ihn mit süßen Worten einlullen, während Mario uns einen Drink kredenzte. Das Glas des Gastes würde er aber mit einigen K.O.-Tropfen angereichert haben. Sobald die Wirkung einsetzte, würden wir den Gast entkleiden und ein kompromittierendes Foto erstellen, mit dem wir ihn anschließend erpressen würden. Mario erklärte, dass er eigens zu diesem Zweck eine altmodische Polaroid-Kamera angeschafft habe. Das sollte dem Gast das beruhigende Gefühl geben, uns das einzige existierende Objekt abzukaufen und die angenehme Sicherheit, von keinen herumgeisternden digitalen Derwischen im Internet verfolgt zu werden.
    Die Logik erschloss sich mir zwar nicht ganz, denn man hätte ja mehrere Aufnahmen erstellen oder diese abfotografieren können, doch die Idee begeisterte mich sofort. Endlich würde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher