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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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Deutschen Hochstifts in Frankfurt am Main. Mit diesem Mann und mit dieser Institution geriet Petermanns Nordpoltraum tief in den Strudel der deutschen Nationalbewegung. Otto Volger, ein Lehrersohn aus Lüneburg, der in Göttingen Geologie studiert hatte, war im März 1848 mit auf die Barrikaden gegangen. Als notorischer Republikaner musste er später das Weite suchen, fand Unterschlupf in der Schweiz und nutzte das Exil für geologische Studien. Seine ungebrochene Begeisterung für die nationale Sache ging so weit, dass er eine deutschtümelnde Terminologie für Kristallformen erfand, die die gängigen griechisch-lateinischen Begriffe ersetzen sollte. Ein Oktaeder wäre demnach ein »Eckling«, ein Rhombendodekaeder ein »Knöchling«, ein Ikositetraeder ein »Buckling« gewesen. Soweit ich weiß, haben sich Volgers knorrige Namen nie durchgesetzt. In den 1850er Jahren ging er nach Frankfurt, in die Stadt der ersten deutschen Nationalversammlung zurück und rief das Freie Deutsche Hochstift für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung ins Leben. Deutscher Geist für alle, lautete das satzungsgemäße Ziel. 1863 siedelte Volger seine Akademie in Goethes Geburtshaus um und verpflichtete sie auf die Pflege des heroischen Dichtererbes. 1865 stolperte er über August Petermanns Nordpolprojekt.

    Volgers Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Überzeugt, dass die Arktis ein deutsch-nationales Potential besitze, schlug er dem Gothaer Kartografen eine große »geographische Versammlung« in Frankfurt vor, um unter Goethes ideeller Schirmherrschaft über die Eroberung des Nordpols zu beratschlagen. »Während aber die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen«, hatte der Dichter einst zu Eckermann gesagt, »lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt.« Es ließe sich für die Tagung, die im Juli 1865 stattfand, kein besseres Motto finden. Sie war von dem Wunsch beseelt, undeutsch zu sein, den Beweis anzutreten, dass die Dichter und Denker auch handeln konnten - und zwar sofort. Vor zahlreichem Frankfurter Laienpublikum und einer Handvoll Experten - darunter der bereits mehrfach erwähnte Ferdinand von Hochstetter aus Wien, Wilhelm von Freeden, der Direktor der Navigationsschule in Elsfleth, und Georg Neumayer, ein Meteorologe, der in den Südpol verliebt war - hielt Petermann eine lange Rede, in der es vor allem um Eile ging. »Lassen Sie uns, meine Herren, beschließen, daß eine Deutsche Nordfahrt sofort ausgerüstet und noch in diesem Jahr ausgeführt werde«, rief er in den Saal, den er vorher mit dem eisfreien Polarmeer und den Ränken der britischen Presse auf Temperatur gebracht hatte. Es ging darum, den Engländern zuvorzukommen. Während die Verhandlungen mit Preußen und Österreich noch auf vollen Touren liefen, nahm er daher alle »Deutschen Kapitalisten« in die Pflicht, ihre Schatullen für eine Arktisexpedition zu öffnen, und tat die ersten hundert Gulden publikumswirksam selbst in den Topf. Ref. 150
    Das Echo der Presse ließ nichts zu wünschen übrig. Vom
Bremer Handelsblatt bis zur Triester Zeitung gab es gute Kritiken. Quer durch den Deutschen Bund begrüßten die Redaktionen den Nordpol als nationale Bestimmung. Dabei war nur der Korrespondent des Dresdner Journals in Frankfurt zugegen gewesen. Alle anderen hatten Petermanns Redemanuskript in ihren Briefkästen vorgefunden - von einem gewieften Öffentlichkeitsarbeiter direkt zugestellt.
    Im Gegensatz zu den Zeitungen legten die Frankfurter Arktisexperten Skepsis an den Tag. Noch im laufenden Jahr eine Nordpolexpedition loszuschicken - und sei es, wie Petermann forderte, nur eine »kleine Rekognoscirungsfahrt« -, schien ihnen schlichtweg indiskutabel. Eine schlecht ausgerüstete Expedition konnte die pubertierende deutsche Polarforschung gleich auf den ersten Metern desavouieren. »Wir sollten im nächsten Frühjahr im Felde sein« - so die soldatisch verfasste Meinung Georg Neumayers. Einvernehmlich vertagten sich die Frankfurter Fachleute auf das kommende Jahr und beschlossen zur Sicherheit, einen Ausschuss einzuberufen. Nur August Petermann ließ nicht locker. Im Gegensatz zu seinen bedächtigen Landsleuten hatte er nicht das Gefühl, es gäbe noch Zeit zu verlieren. Gleich nach dem Ende der Konferenz setzte er ein Preisgeld von 2000 Thalern aus - für die Erkundung der Strömungsverhältnisse zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja noch im laufenden Jahr. Dem Text
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