Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
Vom Netzwerk:
seiner Ausschreibung zufolge handelte es sich um leicht verdientes Geld, denn er rechnete mit dem Vergnügen einer »kleinen Segelfahrt«. Ref. 151
    Reinhold Werner, der arktisbegeisterte preußische Korvettenkapitän, muss das ähnlich gesehen haben. Er spielte die Rolle eines deutschen Sherard Osborn: Aus dem Innern des
preußischen Marineestablishments kommend, kampferprobt und mit guten Beförderungsaussichten, riskierte er seinen guten Ruf für den windigen Nordpol. Im Namen der deutschen Nation charterte er einen englischen Schraubendampfer, die Queen of the Isles , und ließ ihn nach Hamburg bugsieren. Da er selbst keinen kurzfristigen Diensturlaub bekam, vertraute er das Kommando dem Bremer Kapitän Hagemann an. Am 31. August 1865, auf den letzten Drücker, stach der Dampfer in Richtung Polarmeer in See. Vor der See kam allerdings die Elbe, und hier, auf der Höhe von Otterndorf, erlitt die Queen of the Isles Maschinenschaden. Sie musste eilig vor Anker gehen. Kapitän Hagemann ließ sich von einem einlaufenden Dampfer nach Hamburg mitnehmen und schickte seinem Schiff einen Schlepper entgegen. Die Reparatur würde mindestens acht Tage dauern. Die Arktissaison neigte sich ihrem Ende zu. Nicht einmal Petermann konnte jetzt noch auf einem zweiten Versuch bestehen. Auf 53° nördlicher Breite war die erste deutsche Nordpolfahrt daher vorbei. Sie hätte ein gutes Sujet für Joachim Ringelnatz abgegeben, der die Geschichte stattdessen zwei Hamburger Ameisen auf den Leib geschrieben hat. In jungen Jahren fuhr Ringelnatz selbst zur See. Eines seiner ersten Gedichte, Der Untergang der Jeannette , handelt von Petermanns letzter Nordpolexpedition.
    Aber dies hier war seine erste. Und sie hätte nicht kläglicher enden können. Die englischen Zeitungen hatten ihren Spaß. Petermann, unter Zugzwang, setzte eine Erklärung für die Geographischen Mitteilungen auf. Man kann den Text als Symptom seiner Überreizung verstehen: Die latente Rivalität mit den Briten schlug hier in manifeste Paranoia um. Der Kartograf verwendete über zehn Druckseiten auf den Beweis, dass
die deutschen Polarfahrer einem englischen Sabotageakt zum Opfer gefallen waren: »Englische Maschinerie oder Machination hat dieses schöne Unternehmen vereitelt.« Da war zunächst die Havarie selbst: Konnte es ein Zufall sein, dass die Maschine gerade in dem Moment kaputt gegangen war, als der deutsche Teil der Besatzung beim Mittagessen saß und die Führung des Schiffes in den Händen der elf britischen Seeleute lag? Warum hatte der englische Ingenieur Kapitän Hagemann hastig zu beruhigen versucht und behauptet, der Schaden könne rasch repariert werden? Und warum wurden Hagemann »mit abgebrochenen Maschinenstücken die Beine beinahe abgeworfen«, als er sich schließlich selbst an den Unfallort begab? Die genauere Untersuchung ergab, dass eine Mutter in den Motor geraten war, die Ventile zerstört und die Kolbenstange verbogen hatte. »Mir steht beinahe der Verstand still«, zitierte Petermann aus dem atemlosen Bericht Kapitän Hagemanns, »aber es ist mir völlig klar und ich bin moralisch überzeugt, dass wir durch grenzenlose Gemeinheit betrogen sind.« Ref. 152
    Vorbehaltlos schloss sich der Kartograf dieser moralischen Überzeugung an. Ihm fielen noch weitere Ungereimtheiten auf. Schon im englischen Heimathafen war die Abreise des Dampfers grundlos verzögert worden. »Trotz aller Telegramme und bezahlter Rückantworten wurde nicht geantwortet, wann oder ob das Schiff gesegelt sei. Dann geht es endlich am 26. die Themse hinunter, bleibt aber 24 Stunden liegen - angeblich wegen Nebels, und braucht dann bis zum 30., um nach Hamburg zu gelangen.« Gerade die Undurchsichtigkeit der ganzen Sache zeigte, dass es sich um einen besonders ausgeklügelten Sabotageakt handelte. »Je größer eine Bosheit ist«,
lautet Petermanns Fazit, »desto schwerer ist es, überführende Beweise dafür vorzubringen.«
    Motive hatten die Briten in Petermanns Augen genug. Sie betrachteten den Nordpol als ihre Krondomäne, eine deutsche Arktisexpedition folglich als unerwünschte Konkurrenz. Nur die Royal Geographical Society nahm der Kartograf von dieser Generalunterstellung aus. Für Roderick Murchison, der ihm im Plenum Gehör verschafft hatte, gelte nichts als die gemeinsame wissenschaftliche Sache. Der Gegner stand anderswo. Wie bei anderen Gelegenheiten zuvor ließ es sich Petermann nicht nehmen, seinem englischen Lieblingsfeind, der »wissenschaftsfeindlichen« Times
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher