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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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dar: Es lag in der Natur des Menschen - oder vielmehr des Mannes -, am trostlosen Ende der Welt über sich
selbst hinauszuwachsen. Doch irgendwann veränderte sich das Bild: Die heroisch gestörte Kälteversessenheit der Polarfahrer erschien jetzt als skurriles Symptom eines vergangenen Größenwahns. An die Stelle heroischer Epen ist eine vage Kulturpsychologie getreten, deren Frage, stets aufs Neue, lautet: Warum all dieses sinnlose Heldentum? Ref. 8
    Mit August Petermann geraten die Männerfantasien in ein anderes Licht. Nicht umsonst gefielen sich seine Gegner darin, ihn als Feigling zu beschimpfen, denn am Nordpol selbst hatte er kein Interesse. Seine arktischen Abenteuer ereigneten sich auf Papier. Nachdem er - schon früh - den Karten verfallen, Alexander von Humboldt begegnet und nach London, in die Hauptstadt der Geografie, gegangen war, geriet er in den Strom eines epochalen Optimismus. Der Kartografie schien sich ein Feld unbegrenzter Möglichkeiten zu eröffnen. Die Zuversicht, die dem Wunderkind Tecumseh Spivet in Reif Larsens Roman Die Karte meiner Träume den Stift führt, ergriff damals von einer ganzen Zunft Besitz: Weit über die herkömmliche Topografie hinaus schien sich mit Karten buchstäblich alles darstellen zu lassen, ob das Verhalten von Eisenbahnpassagieren, das Wachstum der Pflanzen, die Ausbreitung der Cholera oder die Launen des Wetters. In dieser Situation geriet Petermann in den Trubel der Franklinsuche. Er reagierte mit den Mitteln des Kartenzeichners und setzte dabei einen unwiderstehlichen Traum vom Nordpol in die Welt.
    Petermanns Geschichte handelt vom Aufstieg und Niedergang einer künstlichen Welt. Sie zeigt, welche Wirkungen von einer Karte ausgehen konnten. Und sie folgt den Stadien eines zunehmenden Realitätsverlusts. Denn letztendlich gelang es dem Kartografen nicht, sich von seiner einmal erzeichneten
Papierwelt zu lösen - für die Briten ein Fall von typischer deutscher Weltfremdheit. Lewis Carroll, Petermanns Zeitgenosse, der ein Experte für geografische borderlines war, lässt in einem späten Roman einen Fremden auftreten, der von den Kartografen in seinem Heimatland erzählt: von ihren Experimenten mit immer größeren Karten und von den Schwierigkeiten, die beim Maßstab von 1:1 aufgetaucht seien. Die Bauern hätten protestiert, weil die Karte das Sonnenlicht raube, weshalb sie noch niemals ausgebreitet worden sei. »Darum verwenden wir jetzt das Land selber als Karte«, schließt der Bericht, »und ich darf Ihnen versichern, es leistet uns beinah ebenso gute Dienste. « Konnte es Zufall sein, dass das Land, von dem Carroll sprach, Deutschland und der Berichterstatter ein deutscher Professor war? Ref. 9
    Man würde August Petermann gerne vor den spöttischen Engländern in Schutz nehmen und von einem sympathischen Humboldt am Schreibtisch erzählen: von einem deutschen Mandarin, der sich redlich in den Papierkram der Vermessung der Welt vergrub. Wir werden solchen Figuren begegnen. Doch auf Petermann selbst trifft das schöne Klischee leider nicht zu. Wenn hier ein »preußischer Weiser« agierte, dann war er - mit einem Wort Theodor Fontanes - durch die Schule der »Verengländerung« gegangen: vom Vorrang der Karte durchdrungen und zugleich vom Willen zur Tat beseelt. Petermann zettelte Expeditionen an und versuchte sie im letzten Moment zu verhindern. Er konnte ebenso vergrübelt wie jähzornig sein. An verschiedenen Stellen dieses Buches wird er sich schlecht benehmen. Für seinen Chronisten ist das nicht angenehm. Die Geschichte und auch die Tragik Ref. 10 des Kartografen lassen sich nur verstehen, wenn man bedenkt, dass sein
geografischer Hochsitz zwischen den Stühlen stand: zwischen England, dem Land der Welteroberer, und Deutschland, dessen Geografen sich auch nach Hegel bemühten, »den Gesamtstoff der Erdkunde in das Gebiet des Gedankens zu versetzen«. So steht es in Ernst Kapps viel gelesener Vergleichender Allgemeiner Erdkunde , einem Buch, dessen zweite Auflage in dem Jahr erschien, als die erste deutsche Nordpolexpedition ihre Segel setzte.

    Bild 2
    Deutsche Verkehrswege im Jahr 1845: eine Karte von der Vernichtung des Raumes.

7. DER ENTDECKER- CLUB
    Umtriebig, wie er war, tat Petermann alles, um seine Blätter an den Mann zu bringen. Vor den versammelten Mitgliedern der statistischen Sektion der British Association for the Advancement of Science führte er seine Bevölkerungskarte vor. Man kann davon ausgehen, dass er es sich bei dieser
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