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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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Gelegenheit nicht nehmen ließ, aus Humboldts schmeichelhaftem Brief zu zitieren - wozu ihn der große alte Mann ja ausdrücklich ermutigt hatte. Die versammelten Autoritäten quittierten Petermanns Arbeit jedenfalls mit wohlwollendem Kopfnicken: Nach der britischen Volkszählung von 1851 wurde er dazu ausersehen, die offizielle Karte der Bevölkerungsverteilung zu zeichnen. Und noch dreißig Jahre Ref. 59 später erklärte ein Referent vor der Association, man habe »aus Petermanns Karte einen klareren Eindruck von der relativen Bevölkerungsdichte in den verschiedenen Teilen des Vereinigten Königreichs gewinnen können als aus allem, was seither publiziert worden ist«. Bis heute gelten seine Blätter als Meilensteine der thematischen Kartografie. Beflügelt vom raschen Erfolg, ging Petermann daran, einen Kundenstamm aufzubauen. Um sich erfolgreich in der teuren Hauptstadt etablieren zu können, brauchte er Subskribenten, die bereit waren, seine kartografische Kunstfertigkeit im Voraus zu honorieren. Vor allem aber brauchte er die Unterstützung jener unumgänglichen Institution, die allen Abenteurern, Forschungsreisenden und
Kartenmachern in London als gesellschaftlicher Mittelpunkt diente: der Royal Geographical Society.
    Die Royal Geographical Society war 1830 gegründet worden, nach dem Vorbild einer ähnlichen Gesellschaft in Paris. Wie die meisten der learned societies , die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie Pilze aus dem Boden der englischen Hauptstadt schossen, ging auch die Geografische Gesellschaft aus einem distinguierten dining club hervor. In den behaglich getäfelten Räumen des Raleigh Traveller’s Club hatten sich Gentlemen getroffen, die ein besonderes Faible für Weltreisen verband. Man erzählte von neuen Abenteuern, tauschte Routen und Ratschläge aus, und damit das Gefühl für die Fremde nicht allzu abstrakt blieb, bekochte man sich gegenseitig mit exotischen Gerichten: Leckerbissen von den Fronten des Empire. Dass eine Truppe von chauvinistischen Welteroberern, denen jede multikulturelle Gesinnung von vornherein abgesprochen werden muss, ihr indisches Curry, ihren Maniokbrei und ihre Kochbananen anständig aufgegessen hätte, kann man sich allerdings nur schwer vorstellen. Vielleicht gab es Roastbeef und Plumpudding zur Sicherheit. Vielleicht ging es vor allem um die exotischen Branntweine.
    Indes blieb es beim fröhlichen Gelage nicht lange. Im London der Regency-Zeit gehörte es zum guten Ton, den Dingen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Nach dem langen Krieg gegen Napoleon warteten trocken liegende Schlachtschiffe und arbeitslose Seeoffiziere darauf, eine neue Aufgabe zu bekommen. Und Alexander von Humboldt hatte auch in England die Vermessung der Welt populär gemacht. Kapitäne, die jahrelang nichts anderes getan hatten, als französische
Schiffe zu versenken und französische Häfen zu blockieren, hörten auf, ihrem Kriegshelden Nelson nachzueifern, und besannen sich stattdessen auf James Cook zurück, dessen große Entdeckungsfahrten in den Jahren des Pulverdampfs in Vergessenheit geraten waren. Statt an exotischen Ankerplätzen nur nonchalant eine britische Flagge zu hissen, ließen sie neuerdings auch ein paar Messinstrumente in einem Steinhaufen zurück - »damit jeder zukünftige Besucher sich mit dem Klima vertraut machen kann«. So steht es im Bericht eines jungen Kapitäns über dessen Landung auf den Südlichen Shetlandinseln. Ref. 60
    Nach der Rückkehr las dieser Kapitän seinen Bericht in der Royal Geographical Society vor, die in der Zwischenzeit aus dem Raleigh Traveller’s Club geschlüpft war. Aus den Kochorgien waren Vortragsabende geworden. Das zwanglose Beisammensein hatte einem satzungsgemäßen Auftrag zur Förderung der Geografie Platz gemacht. Alle, die die Erforschung und Eroberung der Welt zu ihrer Sache machten - neben sturmerprobten Kapitänen und adligen Abenteurern auch die neuen Experten des Empire wie Geografen, Botaniker, Vermessungsingenieure und Kartografen -, sahen die Gesellschaft bald als ihr Londoner Flaggschiff an. Ihre wöchentlichen Treffen waren die Börse, an der die weißen Flecken der Landkarte gehandelt wurden. Wer hatte den Oberlauf welches Flusses erreicht? Gab es im Südatlantik noch eine unbekannte Inselgruppe? Wie sah das Innere von Australien aus? Allerdings traf man sich nicht nur, um zu renommieren und zu diskutieren. Die Society, deren Mitglieder über beste Verbindungen zur Politik und zur Royal Navy
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