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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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verfügten, betrachtete es von Anfang an als ihre Aufgabe, auch auf eigene Faust geografische
Expeditionen ins Leben zu rufen. Und es gab ein weiteres, in der Satzung von 1830 festgeschriebenes Ziel. Die Geografische Gesellschaft hatte sich den Auftrag erteilt, »eine vollständige Sammlung von Land- und Seekarten von der Frühzeit bis in die Gegenwart anzulegen«. Ref. 61
    Daher stellte sie für Englands Kartenmacher eine hochinteressante Adresse dar. August Petermann machte bald nach der Ankunft in London seinen Antrittsbesuch. Zwischen Vorträgen, in denen es um Livingstones Fortschritte in Afrika oder die Korrektur des Längengrades von Dublin ging, buhlte er mit seinen kartografischen Experimenten um Aufmerksamkeit. Ein Brief in Schönschrift, den er 1849 an die »Lords and Gentlemen« der Society adressierte, verrät viel über die Tonlage, in der er für seine Sache warb: »Ich bitte um Erlaubnis«, heißt es darin, »Ihrer Aufmerksamkeit zwei unfertige Kartenentwürfe zu empfehlen, die Teil eines Atlasses des Britischen Empire sind, den ich vorhabe, im Laufe des Jahres zu veröffentlichen. Das große Ziel dieses Werkes besteht darin, bei der Einführung einer breiteren Anwendung von Karten für die Darstellung der geografischen Wissenschaft behilflich zu sein.« Das ist ziemlich geschraubt formuliert. Was Petermann im Sinn hatte, waren die neuen Verteilungskarten und die unabsehbaren Möglichkeiten, die er in ihnen sah. Im Bewusstsein, eine Pioniertat zu vollbringen, bat er die Herren der Geographical Society um ihr Vertrauen als werbewirksame Subskriptionspartner. »Es ist meine große Liebe zur kartografischen Wissenschaft, die mich bewogen hat, solch ein Risiko auf mich zu nehmen, das große Opfer erfordert.« Nur wenn die Unterstützung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit groß genug sei, dürfe er die Hoffnung nähren, »meine ganze
Lebenszeit auf die Forschung und die Zeichenarbeit zu verwenden, die für solche Karten erforderlich sind«.
    Liebe, Leben, Arbeit, Opfer: Man kann davon ausgehen, dass Petermanns Pathos durchaus ernst gemeint war. Keith Johnston mochte ihn in Edinburgh als berechnenden Angestellten erlebt haben, der nur auf persönlichen Vorteil bedacht war. In London stürzte sich der Kartenmacher mit Feuereifer in sein Geschäft. Und, für die bevorstehenden Ereignisse entscheidend: Petermann reüssierte in der Hauptstadt der Geografie. Er hatte sich rasch einen guten Namen und die thematische Kartografie, diese Goldmine, zu seinem Spezialgebiet gemacht. Seine Zuversicht, die Welt in Karten verwandeln zu können, muss grenzenlos gewesen sein.

17. DIE ÜBEREILTE NATION
    Die preußischen Realpolitiker hatten sich zuletzt also aus der Affäre gezogen. Anders als die Nordwestpassage zu ihrer großen Zeit war der Nordpol kein Ziel, das sich einfach an Staatsapparate verkaufen ließ. Die phlegmatischen Lords der Admiralität hatten den vorlauten Osborn nach Indien abgeschoben, und auch die deutschen, in arktischen Dingen unerfahrenen Politiker bekamen kalte Füße. »Eine Regierung kann sich nicht kopfüber mit Enthusiasmus in ein Unternehmen stürzen, bevor nicht Zweck und Nutzen desselben reiflich und gründlich erwogen sind«, hatte der preußische Marineminister den ungeduldigen Petermann beschieden. Die Idee einer Reise zum Nordpol war zu neu, ihr möglicher Ertrag schien zu ungewiss. Ref. 148
    Der Ausstieg der Staatsapparate traf den Kartografen nicht aus heiterem Himmel. Angesichts der schwierigen politischen Verhältnisse hatte er von vornherein auf mehreren Ebenen agiert, neben Preußen und Österreich auch die gesamtdeutsche Öffentlichkeit im Blick gehabt. Als Berlin den finalen Rückzieher machte, besann er sich daher auf seine Vorliebe für polemische Pressekampagnen und ließ die Leser der Geographischen Mitteilungen wissen, sein Flirt mit den Machthabern sei nichts als ein typisch deutscher Irrtum gewesen: »Wohl hat man auch zur Verwirklichung dieses Planes wieder nach Deutscher Art zuerst das Vorgehen einzelner Regierungen
erwarten wollen. Aber ein thatkräftiges Volk handelt selber!« In Österreich und in Preußen hatte Petermann Körbe kassiert. Nun warf er sich dem deutschen Volk an den Hals, diesem raunend beschworenen Kollektivwesen, auf dem damals große politische Hoffnungen ruhten. Ref. 149
    Der »Aufruf an die Deutsche Nation«, den Petermann abdrucken ließ, stammte allerdings nicht von ihm selbst, sondern aus der Feder von Otto Volger, dem Direktor des Freien
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