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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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Proviant oder an irgend etwas anderem habe ihn - den Informanten des Informanten - davon abgehalten, direkt zum Pol zu segeln. Es ist höchste Zeit, diesem Schwachsinn von einem offenen Polarmeer endlich ein Ende zu machen.« Das war deutlich. Petermann, dem inzwischen nichts anderes mehr übrig blieb, als seine Intimfeinde gegeneinander auszuspielen, schrieb an Clements Markham, der »sportsman« Lamont würde am liebsten allem ein Ende machen, was irgendwie mit Wissenschaft zu tun habe. Wie immer, wenn der Streit eskalierte, zog sich der Kartograf in den Tempel seiner deutschen »Wissenschaft« zurück. Ref. 196
    In der Zwischenzeit hatte Osborns und Markhams Lobbyarbeit Früchte getragen: Im Jahre 1874 gab der Premierminister Benjamin Disraeli grünes Licht für eine englische Polarfahrt. Im folgenden Mai warf die British Arctic Expedition die Leinen los. Die Alert und die Discovery , zwei für Eismeerverhältnisse riesige Dampfschiffe mit Ioo-PS-Maschinen und je 60 Mann Besatzung, steuerten geradewegs in den Smith Sound. Von Petermanns Spitzbergenroute keine Spur. Wie 1845, als die Hoffnungen auf John Franklin ruhten, bot die Royal Navy noch einmal all ihre Mittel auf, um eine Expedition auf die Beine
zu stellen, die des Mutterlands arktischer Entdeckungsfahrten würdig war: Auf 82° nördlicher Breite, wo sie im Eis stecken blieb, bot die Alert ihren Offizieren alle Annehmlichkeiten eines viktorianischen Clubs. Gottesdienst, Hausmusik und das Royal Arctic Theatre hielten die Besatzung in den tatenlosen Wintermonaten auf Trab. Die Rückfahrt im Herbst 1876 verlief reibungslos. Nur das Telegramm, das Kapitän Nares von der irischen Küste nach London absetzte, war unerfreulich: »Arktisexpedition zurückgekehrt. Vier Todesfälle. Unmöglichkeit Nordpol zu erreichen bewiesen.« Ref. 197
    Nach dieser Meldung verloren die Briten endgültig die Lust am Pol. Anstatt seine verdienten Lorbeeren zu ernten - immerhin hatte er die Expedition heil nach Hause gebracht -, sah sich Nares einem quälenden Untersuchungsverfahren wegen des Ausbruchs von Skorbut an Bord ausgesetzt. Die Times überantwortete den Nordpol den Psychiatern. Die Bereitschaft, schrieb sie, für ein geografisches Phantom Menschenleben zu riskieren, entspringe der »Phantasie eines kranken Gehirns«. Die Engländer haben nie wieder eine Nordpolexpedition ausgerüstet. Was sie vor weiteren Katastrophen nicht bewahren konnte. Auf Betreiben Clements Markhams - inzwischen Präsident der Royal Geographical Society - wandten sie sich in den 1890er Jahren dem Südpol zu und mussten hier ihre letzte heroische Niederlage kassieren: den schrecklichen Kältetod von Robert Falcon Scott.

    Bild 16
    James Gordon Bennet ließ diese Karte für die Jeannette -Expedition anfertigen. Den warmen Pazifischen Strom suchte das Schiff vergebens.

NANSENS TURN
    Das Ende dieser Geschichte ist schnell erzählt. Seit dem Untergang der Jeannette war die Arktis verpönt. Und seit Petermanns Tod gab es niemanden mehr, der die Sehnsucht nach dem offenen Polarmeer am Leben erhalten hätte. Immerhin, während De Long durch die Beringstraße nach Norden dampfte, war Adolf Nordenskjöld von seiner Durchsegelung der Nordostpassage zurückgekehrt. Das war eine Leistung, auf die man stolz sein konnte. Vom Nordpol sprach jedoch niemand mehr. Nur Fridtjof Nansen, der aufgehende Stern der Polarforschung, stolperte 1884 über die Meldung, dass eine Ölhose von Bord der Jeannette an der Südküste Grönlands angespült worden war. Zunächst hatte er jedoch andere Pläne und überquerte das Inlandeis von Grönland auf Skiern. In Nansens Hinterkopf brütete aber bereits ein gewagter Plan. Die Ölhose war ein schlagender Beweis für die Existenz einer Strömung, die von der Beringstraße quer durchs Polarbecken bis in den Atlantik ging. Mit einem geeigneten Schiff musste es möglich sein, sich dieser Strömung anzuvertrauen und dabei geradewegs über den Nordpol zu treiben.
    In London, in der Royal Geographical Society, wo Nansen seinen Plan im November 1892 vorstellte, stieß er auf geballten Widerstand. Die britischen Eismeerveteranen verpassten ihm, wie er seiner Frau in Norwegen mitteilte, eine »kalte Dusche«. George Nares teilte ihm freundlich mit, dass sein Projekt sinnlos
sei. Das ist nicht weiter verwunderlich: In vielerlei Hinsicht musste Nansens waghalsige Argumentation an einen unseligen Vorgänger erinnern - August Petermann. Auch der Norweger spekulierte über globale Meeresströmungen,
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