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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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in unzähligen Varianten in der Arktisliteratur: die Litanei eines ewigen Versprechens. Sein betörendes Leitmotiv fand dieses Versprechen im so genannten water sky , im Anblick eines dunklen Himmels am Horizont, der nach allgemeinem Dafürhalten offenes Wasser spiegelte. David Gray: »Von NW. bis ONO. sah ich einen dunklen Wasserhimmel, der sich nach Norden erstreckte und dort in der Ferne verlor. Ich habe keinen Zweifel, dass
ein weites, offenes Polarmeer vor uns lag, das weiter nach Norden reichte, als je ein Mensch gelangt war.« Suggestiver geht es kaum. August Petermann sog diese Nachrichten inzwischen wie ein Süchtiger auf. Ref. 194
    Die Genugtuung, ausgerechnet von einem Seebären Bestätigung zu finden, wurde allerdings durch einen besonders unangenehmen Widersacher geschmälert: Sir James Lamont. Während der 1870er Jahre verkörperte er den britischen Vorbehalt gegen Petermanns Geografiestil noch einmal in geradezu paradigmatischer Form. Der Professor und der Gentleman: So könnte man ihren Konflikt überschreiben. Lamont gehörte einer neuen Klasse von Polarfahrern an, die die Zeit und die nötigen Mittel hatten, um in der Arktis auf Großwildjagd zu gehen: Er war ein Eismeertourist, ein bloßer »sportsman«, wie Petermann nicht müde wurde, klarzustellen. Nach seinem ersten Spitzbergenausflug im Jahr 1858 hatte der Freizeitentdecker jedoch Blut geleckt. Alle Welt raunte vom Nordpol, gewisse Leute gesellten ihm sogar ein offenes Polarmeer hinzu. Lamont, dem das Packeis noch in den Knochen saß, kam das merkwürdig vor. In einer Zeit, in der Jahr für Jahr Arktisexpeditionen in See stachen, nur nicht von England aus, gab er nonchalant seinen Parlamentssitz auf - »den zu erlangen viel Geld gekostet hatte« -, ließ ein wendiges Schiff konstruieren und machte sich daran, seine aus eigener Anschauung gewonnenen Überzeugungen an jenen »gelehrten Theoretikern« zu messen, »die nie ihren heimischen Kamin verlassen haben, aber steif und fest behaupten, es wäre ›völlig unproblematisch, zum Pol zu segeln‹«.
    Im Klartext ging es natürlich um August Petermann, der die Provokation aus Schottland sofort registrierte. Trotz allem
gab er Lamonts Lustfahrten in den Geographischen Mitteilungen Raum und wollte später sogar eine spitzbergische Zwerginsel nach ihm benennen. Der Eismeertourist lehnte dankend ab. Und hörte nicht auf, seine Meinung zum offenen Polarmeer kund zu tun. »Sehr gern würde ich mich einmal ausführlich mit Ihnen über diese Gegenden unterhalten«, schrieb er im April 1871 an Petermann. »Ich werde den Gedanken nicht los, dass Sie weniger zuversichtlich wären, den Nordpol mit Schiffen erreichen zu können, wenn Sie so oft dort gewesen wären wie ich.« Der Kartograf, der sich hier ungewohnt offenherzig zeigt, fand Lamonts Dämpfer »deprimierend«, schließlich halte er nach wie vor an seinen allseits bekannten Hoffnungen fest. »Auf der anderen Seite möchte ich mich Vernunft und Erfahrung nicht verschließen«: ein guter Vorsatz. Doch als später im Jahr die Nachricht eintraf, dass Payer und Weyprecht mit der Isbjörn bis ins offene Polarmeer gesegelt waren, legte Lamont wieder nur Zurückhaltung an den Tag. Er selbst sei im Sommer durch spitzbergische Gewässer gekreuzt, »und das Eis wurde von Tag zu Tag schlimmer«. War das noch Erfahrung - oder bereits Unvernunft? Petermann sah sich jedenfalls nicht in der Lage, Lamonts Einwand hinzunehmen. Verärgert schrieb er zurück, es sei eben schwierig, »Sport mit Entdeckung und Erforschung zu verbinden«. Worauf ein einstweiliges Patt eintrat. Ref. 195
    Ihren krönenden Abschluss fand die Fehde erst später, als Petermann den Zeitpunkt für gekommen hielt, mit einer Denkschrift an die Royal Society heranzutreten. Lamont wandte sich daraufhin entnervt an die Times . Sein Leserbrief, den die Redaktion mit Vergnügen abgedruckt haben muss, nahm einen »bekannten deutschen Geografen« aufs Korn,
der nicht aufhörte, das schiffbare Polarmeer zu predigen. Er, Lamont, bringe dafür kein Verständnis mehr auf. Und dann nahm er den arktischen Konjunktiv auseinander: »Es bringt mich immer wieder zum Lachen«, schrieb Lamont, »wenn ich von irgend jemandem höre oder lese, der behauptet, irgendein anderer sei an den Rand des offenen Polarmeers gelangt und habe nichts als offenes Wasser vor sich gesehen - ›ein großer, grenzenloser, offener Ozean, der bis zum Pol reicht‹, ist, glaube ich, die übliche Redeweise; und nur der Mangel an Zeit oder
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