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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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um Sherard Osborns alte Route durch den Smith Sound.

    Bild 15
    »Offenes Wasser mit sehr dunklem Wasserhimmel und schwarzen Kumuluswolken darüber, so weit wie man von der Mastspitze nach Norden sehen konnte.«
    Auch wenn das durchaus den Tatsachen entsprach: August Petermann war in der neuen englischen Nordpoldebatte auf zwiespältige Weise präsent. Osborn selbst pflegte eine alte Feindschaft, wenn er in der Royal Geographical Society erklärte, die deutschen Expeditionen unter Koldewey seien »von Dr. Petermann vollkommen in die Irre geleitet worden«. Im Osten nichts Neues, hieß seine neue, alte Devise, wer zum Pol oder in dessen Nähe wolle, müsste das unbedingt westlich von Grönland, durch den Smith Sound tun. Clements Markham, der Sekretär und zukünftige Präsident der Geografischen Gesellschaft, leistete Osborn wirksame Schützenhilfe. 1873 veröffentliche er The Threshold of the Unknown Region , eine Geschichte polarer Entdeckungsreisen, die als Appetithappen für das Publikum intendiert war. Auch hier taucht Petermann nur als Verführer auf, der die »maßgebliche deutsche Autorität« in Polarfragen, Kapitän Koldewey, mit seinen Pamphleten hinters Licht führt. Höflich übersandte Markham ein persönliches Exemplar nach Gotha. Und Petermann, diesmal ganz Viktorianer, ließ sich nichts anmerken. Nur hinter Markhams Rücken lästerte er haltlos, konstatierte Schaden für die Polarforschung und verglich die Äußerungen
des Sekretärs mit Thomas Carlyles berüchtigtem Geheul der Irren von Bedlam. Ref. 193
    Markhams Buch wurde ein Bestseller. Die Lords der Admiralität steckten die Köpfe zusammen. In der Royal Geographical Society flammten alte Diskussionen auf. Und selbst die Regierung schien sich mit der Sache zu befassen. Für Petermann bot das allemal Grund genug, um das Terrain zu sondieren, um alte Freundschaften zu pflegen und neue Allianzen zu schmieden. Vielleicht ließ sich wider Erwarten noch einmal die Spitzbergenroute platzieren. Vielleicht war London am Ende doch der beste Weg zum Pol.
    Seit dem Tod von Sir Roderick Murchison betrachtete Petermann Henry Bates als seinen Mann im Entdecker-Club. Der freundliche Insektenforscher bekam seinen Charme zu spüren - »Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, Ihren Namen für meine neue Karte von Ostspitzbergen zu benutzen, und gab Ihnen dort einen wunderschönen Berg« -; er hörte sein Schmollen - »Vor 7 Jahren tat ich mein Bestes, um Ihre Bemühungen zu unterstützen; jetzt hätte die R. G. S. durchaus ein Wort der Ermutigung zu mir sagen können« - und seinen Größenwahn: »Ich sage Ihnen, in 12 Monaten werden wir in einer Saison quer durch das Polarmeer bis zur Beringstraße gelangt sein.« Als weiterer Komplize fungierte John Rae, der Schotte, dem die Engländer nie verzeihen konnten, wie er Franklin gefunden hatte. Nach wie vor zeigte ihm das Marine-Establishment die kalte Schulter. Dafür bestärkte Rae den Kartografen jetzt bereitwillig in dessen Rolle als deutscher Underdog.
    Petermanns eigentlicher Joker aber war David Gray. Ausgerechnet Gray, muss man sagen, denn der Captain galt als
einer der besten Walfänger von Peterhead. Dass dieser gestandene Seemann zum entschiedenen Parteigänger des Lehnstuhleroberers wurde, riecht verdächtig nach Ironie der Geschichte. Gray hatte sich 1868 in die Arktisdebatte eingemischt, als er der Royal Geographical Society die Ostküste Grönlands als Route zum Pol empfahl. Hier, wo er alljährlich Walfische jage, täten sich große Wasserstraßen nach Norden auf. Petermann, aufhorchend, übersetzte Grays Denkschrift sofort für die Geographischen Mitteilungen ins Deutsche. In den folgenden Jahren entspann sich eine rege Korrespondenz: Der Kartograf legte seine Theorien zur Begutachtung vor, während der Kapitän über Strömungen, Wetter und Eisverhältnisse berichtete. Dabei bediente er sich mit Bravour jener Form, die auch Petermann beherrschte, seitdem er zum ersten Mal von Wrangels sagenumwobener Polynia sprach - des arktischen Konjunktivs: »Ich war überzeugt, dass wir bis zum Pol hätten segeln können«, lautete Grays Fazit der Fangsaison 1874. »Ich bereue bitterlich, dass ich die Chance, auf Wale zu treffen, nicht opferte, obwohl meine Kohlen und Vorräte sich dem Ende zuneigten.« Falsche Befehle, andere Absichten, schlechte Ausrüstung: Irgendein Hindernis gab es immer. Andernfalls, so lautete der arktische Konjunktiv, wäre die Passage zum Nordpol ein Kinderspiel gewesen. Man liest das
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