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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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der Kartograf auf seine altbewährte Strategie: »Das, was sich also nach meiner Ansicht für die Sache in Deutschland thun ließe«, versuchte er, Gether zu ködern, »ist für Sie ganz bequem und greifbar.« Anstatt sich selbstmörderisch in einen Fischerkahn zu begeben, solle der Schwingungstheoretiker doch lieber zur Finanzierung einer soliden Expedition mit zwei Schraubendampfern und einem »tüchtigen und erfahrenen Admiral« an der Spitze beitragen. Ref. 166
    Den Empfänger muss das ernüchtert haben. Seine Antwort kam erst ein knappes Jahr später. Sie war in London datiert. Petermanns Rat befolgend, ließ Gether allerdings zur Beruhigung wissen, habe er tatsächlich davon abgesehen, sich direkt an die Royal Geographical Society zu wenden. Dafür trete er nun vor Ort für seine Sache ein, halte Vorträge über die hohle Erde und versuche, die Unterstützung der deutschen Exilgemeinde in London zu gewinnen. Freilich mache er sich nach den enttäuschenden Reaktionen in Preußen keine allzu großen Hoffnungen mehr: »Ich ging von vorneherein von der Voraussetzung aus, ich würde auf eine große Zahl Zweifler und Widersacher stoßen, namentlich unter den sogenannten Halbgelehrten, an die das Publikum sich in der Regel wendet, wenn es in irgendeiner außerhalb seines Gefühlshorizonts liegenden Sache seine Auffassung feststellen will.« Interessant, wie Gether hier die Seiten wechselt. In seinem Buch hatte er sich selbstbewusst über die professionellen »Fachgelehrten« erhoben; nun sah er sein Anliegen von »Halbgelehrten« unterminiert. Aber für die Suche nach Schuldigen gab es gute Gründe: Abgesehen von »einigen wenigen Professoren«
hatten ihm auch die Englanddeutschen die kalte Schulter gezeigt.
    Gethers weiterer Weg verliert sich im Dunkel der Geschichte. Vielleicht hat er irgendwann entmutigt aufgegeben und sich wieder der Jurisprudenz zugewandt. Vielleicht ist er tatsächlich auf eigene Faust losgesegelt. Vielleicht haben seine Gedanken über die Naturkraft aber auch noch zahlreiche Leser gefunden. Der Mythos der hohlen Erde geisterte weiter durch die Tiefen der geografischen Einbildungskraft, suchte die fantastische Literatur heim, führte zur Gründung der Koreshanersekte, faszinierte Neognostiker wie C. G. Jung und flackerte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal auf, als irgendwer behauptete, Hitler habe sich in ein Höhlensystem unter dem Südpol gerettet. Für Petermann war die Sache jedoch erledigt. Auch wenn es ihn anfangs vielleicht in den Theoretikerfingern gejuckt hatte: Zu viel Nähe zur hohlen Erde konnte gefährlich sein.

23. IM LAND DER WASSERHIMMEL
    Der Kartograf stürzte sich also noch einmal in den Wahnsinn der Theorie. Aber auch sein publizistischer Furor blieb ungebrochen. »Ich werde so lange arbeiten«, ließ er den Schriftführer der Royal Geographical Society Henry Walter Bates wissen, »bis alles bewiesen ist«. Und tatsächlich lancierte er in der Mitte der 1870er Jahre eine neue Nordpolkampagne - es sollte seine letzte sein. Wie ganz zu Beginn seiner Laufbahn war wieder England das Ziel. Den Kontakt auf die Insel hatte Petermann nie abreißen lassen, das bezeugen schon der Tee und die Zeitschriften, die er sich in rauen Mengen aus London schicken ließ. Gern schmückte er seine Rede mit Anglizismen. Ließ seine Töchter zweisprachig aufwachsen. Und hörte auch als Goldmedaillenträger nie auf, um die Anerkennung der britischen Fachwelt zu ringen. Die deutsch-nationale Stimmungsmache, der er sich im Vorfeld seiner Expeditionen befleißigt hatte, war weniger eine Herzensangelegenheit als nahe liegendes politisches Kalkül. Ref. 192
    Aber warum England? Wir haben die Insel ein wenig aus den Augen verloren. Sherard Osborns Initiative, die Petermann 1865 überhaupt erst aus seinem Polarschlaf gerissen hatte, war in London nahezu wirkungslos verpufft. Das Trauma Franklin lag noch zu nah. Doch der Kapitän hatte hartnäckig weiter gekämpft. Man kommandierte ihn erst nach Indien und dann nach China ab. Aber Osborn kam wieder, trat vor der Royal Geographical Society auf und hievte den Nordpol zurück auf die Tagesordnung. 1874, neun Jahre nach seinem ersten Versuch, stellten sich erste Anzeichen eines Erfolges ein. Henry Bates informierte Petermann darüber, dass die Briten sich auf ihr einstiges geografisches Monopolgeschäft zurückbesannen. In London würden jüngst wieder Arktispläne ventiliert. »Natürlich«, fügte er eilig hinzu, handele es sich dabei ausschließlich
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