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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand
Autoren: Philipp Felsch
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Obergerichtsanwalts gelangte, ist unbekannt, denn die hohle Erde war im 19. Jahrhundert eigentlich ein amerikanisches Hirngespinst. Aber natürlich drifteten Versatzstücke der Lehre als mythologisches Treibgut durch die Zeit. Mit August Petermann suchte Gether den Schulterschluss. »Was die Ausführung einer Nordpol-Expedition anlangt«, schrieb er im Anschluss an die Übersendung des theoretischen Programms, »namentlich den einzuschlagenden Weg und die zur Reise zu wählende Jahreszeit, so gereicht es mir zur besonderen Freude, dass Sie vollständig mit mir übereinstimmen und dass auch die Gründe, welche Sie dafür anführen, im Wesentlichen dieselben sind, welche ich geltend zu machen suche. Stünde nur zu dem fraglichen Zweck ein Kapital von 1200 bis 1500 Thalern zu Gebote, so würde ich sicher im nächsten Herbste die Reise zum Nordpole antreten, könnte es
auch nur unter Benutzung eines gewöhnlichen Fischerkahns geschehen.«
    Es irritierte den planetarischen Theoretiker, dass keiner der Wissenschaftler, an die er sich bisher gewandt hatte, auf seinen Vorschlag eingegangen war. Der Berliner Physiker Heinrich Wilhelm Dove – derselbe Dove, von dem Petermann meteorologische Daten bezog - vertröstete ihn nun schon seit Jahren. Und auch die Französische Gesandtschaft in Hannover hatte nur hören lassen, sein Buch sei »mit dringender Empfehlung« ans Kabinett von Napoleon III. weitergeleitet worden. Noch viel enttäuschender war allerdings das Verhalten der deutschen Zeitungen. Dass ihm die überregionale Presse ihre Unterstützung versagte, hielt Gether für ein großes Unrecht – und zwar nicht nur gegen sich, sondern »gegen die Deutsche Nazion«, war sein Unternehmen doch geeignet, den überfälligen Beweis anzutreten, dass auch die belächelten Dichter und Denker in der Lage seien, »auf praktischem Wege etwas zu leisten«. Ref. 164
    August Petermann hielt sich nicht zurück. Postwendend empfahl er dem Anwalt, seine Sache nicht aus den Augen zu verlieren und auf die Suche nach weiteren Gesinnungsgenossen zu gehen. Im Gegenzug versprach er Gethers Pläne bei nächst bester Gelegenheit publik zu machen - »da ein solches Unternehmen außer der speziellen Prüfung Ihrer und meiner Theorien auf die Lösung eines der interessantesten geographischen Probleme abzielt«. Theoretiker unter sich. Es mag sein, dass dem Kartografen vor allem Gethers bedingungsloser Wille zur Tat imponierte, der so angenehm undeutsch war. Auch er selbst bemühte sich ja, den Briten zu zeigen, dass ein »preußischer Weiser« in der Lage zu handeln war. Doch ausgerechnet in dem Moment, als der Anwalt sich inspirieren
ließ und verkündete, er werde seine Denkschrift direkt an die Royal Geographical Society nach London schicken, schreckte Petermann zurück.
    »Die Mittheilung Ihres Aufsatzes an die k. Geogr. Ges. in London würde ich nicht rathen«, schreibt er, jetzt sachte beschwichtigend, im April 1865, und schickt Klartext hinterher: Eine hohle Erde sei unvereinbar mit allen empirischen Befunden. »Ein neuer großer Welttheil kann dort nicht entdeckt werden, weil der dafür nöthige und genau bekannte Raum zu klein ist.« Und schließlich müsse Gether lernen, zumindest die Minimalstandards der geografischen Wissenschaft, wie Ausweisung des Quellenmaterials und genaues Zitieren, zu erfüllen. Es scheint, als sei sein strategisches Doppel mit dem Oldenburger Autodidakten nur für die deutsche Nordpolprovinz in Betracht gekommen. Als Gether nach England drängte, wiegelte Petermann ängstlich ab. Im pragmatischen Mutterland der Polarforschung, das ihn selbst unter ewigen Innerlichkeitsverdacht gestellt hatte, gab es zu viel zu verlieren. Die süffisanten Federn der Times waren nach wie vor gespitzt. Ein grotesker deutscher Nordpolplan, mit Unterstützung des deutschen Nordpolprofessors: Welch ein gefundenes Fressen für alte Feinde! Ref. 165
    Auch in deutschen Nautikerkreisen machte sich bereits belustigte Skepsis breit. Wilhelm von Freeden, der Direktor der Navigationsschule in Elsfleth, hatte Wind von der hohlen Erde bekommen und ließ Petermann kopfschüttelnd wissen, »daß H. Gether, der unglückliche Naturhistoriker, aus Ihren thatsächlich begründeten Anschauungen Kapital schlägt für seine Fischerschaluppen-Phantasien«. Genau hier lag die größte Gefahr: aufgrund gewisser, nicht von der Hand zu weisender
Übereinstimmungen von einem Symmesianer kompromittiert zu werden. Diese Gefahr musste gebannt werden. Dafür setzte
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