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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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Einleitung
    Gebt die Fackel weiter
    Dies ist kein Manifest. Manifeste verkünden Idealwelten und beschwören ein geisterhaftes Subjekt, das uns dorthin führen soll. Darin erinnern sie an die antiken Propheten, die sich kraft ihrer Vision ihr eigenes Volk erschufen. Die sozialen Bewegungen der Gegenwart haben diese Reihenfolge umgedreht und Propheten und Manifeste überflüssig gemacht. Sie sind bereits auf den Straßen, besetzen Plätze und stürzen nicht nur Herrscher, sondern entwerfen neue Zukunftsvisionen. Mehr noch, mit ihren Gedanken und Taten, ihren Parolen und Sehnsüchten formulieren sie neue Grundsätze und Wahrheiten. Aber wie können wir diese zum Fundament einer neuen und nachhaltigen Gesellschaft machen? Wie können wir diese Grundsätze und Wahrheiten zu einem Leitfaden machen, mit dessen Hilfe wir unsere Beziehungen zueinander und zu unserer Welt neu gestalten? In ihren Rebellionen muss die Multitude lernen, den Schritt von der Verkündung zur Begründung einer neuen Gesellschaft zu gehen.
    Anfang 2011, inmitten der sozialen und wirtschaftlichen Krisen mit ihren radikalen Verwerfungen, schien es ratsam, den Entscheidungen der herrschenden Kräfte zu vertrauen, um eine noch größere Katastrophe abzuwenden. Die Regierenden und Finanzmoguln mochten Tyrannen sein und die Krise zu verantwortenhaben, aber uns schien keine andere Wahl zu bleiben. Doch in den folgenden Monaten stellten verschiedene soziale Bewegungen diese Logik in Frage und entwickelten neue Positionen. Occupy Wall Street war eine der sichtbarsten dieser Protestbewegungen, doch sie war nur ein Moment in einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen, die über das Jahr hinweg die Diskussion auf eine neue Grundlage stellten und neue Möglichkeiten für politisches Handeln aufzeigten.
    Das Jahr 2011 begann früh, am 17. Dezember 2010, als sich der 26-jährige Straßenhändler Mohamed Bouazizi, ein studierter Informatiker, in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid selbst verbrannte. Ende des Monats hatten die Massenproteste mit der Forderung » Ben Ali dégage! « Tunis erreicht, und Mitte Januar hatten sie Zine el-Abidine Ben Ali vertrieben. Die Ägypter trugen die Fackel weiter. Ab Ende Januar strömten Tag für Tag Zehn- und Hunderttausende auf die Straßen und forderten, dass nun auch Hosni Mubarak gehen müsse. Sie hatten den Tahrir-Platz in Kairo gerade einmal achtzehn Tage lang besetzt gehalten, als auch Mubarak abtrat.
    Die Proteste gegen die Zwangsherrschaft griffen rasch auf andere Länder in Nordafrika und den Nahen Osten über, erst auf Bahrain und den Jemen, dann auf Libyen und Syrien. Doch der Funke aus Tunesien und Ägypten flog noch weiter. Die Demonstranten, die im Februar und März das Regierungsgebäude in Wisconsin besetzten, drückten ihre Solidarität mit den Demonstranten in Kairo aus und erkannten sich in ihnen wieder. Der entscheidende Schritt erfolgte am 15. Mai, als die indignados , die Empörten, in Madrid und Barcelona zentrale Plätze besetzten. Bei der Errichtung ihrer Zeltlager ließen sie sich von den tunesischen und ägyptischen Revolten inspirieren und entwickeltenneue Formen des Protests. An die Adresse des sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero und seiner Koalitionsregierung richteten sie die Forderung » democracia real ya «, echte Demokratie jetzt. Sie lehnten es ab, sich durch politische Parteien vertreten zu lassen und griffen eine Vielzahl politischer Fragen auf, von der Korruption der Banken bis zur Arbeitslosigkeit, und von den fehlenden Sozialleistungen bis zum Wohnungsmangel und den Zwangsversteigerungen. Millionen von Spaniern beteiligten sich aktiv an der Bewegung, und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung unterstützte ihre Forderungen. Auf den besetzten Plätzen beriefen die indignados öffentliche asambleas ein, die eine große Bandbreite von sozialen Fragen erörterten und gemeinsam Entscheidungen trafen.
    Noch bevor die Polizei im Juni das Protestcamp auf der Puerta del Sol räumte, hatten die Griechen die Fackel von den indignados übernommen und den Syntagma-Platz in Athen besetzt, um gegen die Sparmaßnahmen ihrer Regierung zu protestieren. Wenig später schlugen Demonstranten auf dem Rothschild Boulevard der israelischen Hauptstadt Tel Aviv ihre Zelte auf, um soziale Gerechtigkeit und Sozialleistungen zu verlangen. Und als im August im Londoner Stadtteil Tottenham Polizisten einen dunkelhäutigen Briten erschossen, kam es dort zu Krawallen, die bald auf
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