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Baltrumer Bitter (German Edition)

Baltrumer Bitter (German Edition)

Titel: Baltrumer Bitter (German Edition)
Autoren: Ulrike Barow
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Eine Dose voller Würmer. Dunkle Leiber mit Borsten und
Kiemenbüscheln, die sich umeinander wanden. Wunderbar. Frisch aus dem
Wattenmeer. Gerade hatte Immo sie vorbeigebracht. Enno Lohmann schraubte
zufrieden den Deckel auf den Behälter. Billiger konnte er an die Köder gar
nicht rankommen, auch wenn Immo manchmal versuchte, den Preis hochzuschrauben.
Einen Cent pro Wurm hatte er mit dem Jungen abgemacht, und nun wollte der
Schnösel doch tatsächlich fünf Cent haben. Pro Wurm! So dicke hatte er es
schließlich nicht, auch wenn er der Bürgermeister dieser Insel war. Das Leben
war nun mal nicht billig hier. Was sollte er tun? Selbst auf Ködersuche gehen?
Undenkbar. Nicht er. Liebevoll strich er über seine Lieblingsangel.
    Als Lohmann vor die Tür des Rathauses trat, lief ihm Schweiß
über die Stirn. Noch immer war es schwül. Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr
die Strandmauer entlang zu seiner Lieblingsbuhne. Sorgsam klappte er den Hocker
auseinander und ließ sich vorsichtig darauf nieder. Zwei waren bereits unter
ihm zusammengebrochen. Keine Qualität mehr heutzutage. Er hatte keine Lust,
schon wieder einen neuen im Baumarkt zu besorgen.
    Zwei Stunden später gab er es auf. Eine mickrige Meeräsche, die
den Wurm nicht wert gewesen war, hatte er aus dem Wasser geholt. Er packte zusammen
und schaute auf die Uhr. Ein Bier käme ihm jetzt gerade recht. Die Alte
Liebe würde offen haben.
     
    »Mach mal ’n Helles«, begrüßte er den Mann hinter der Theke.
Er stellte seine Angel vorsichtig an die Wand und schob einen Barhocker davor.
»Damit mir da keiner rankommt.«
    »Musst du gut drauf aufpassen, Enno«, stimmte ihm der Wirt zu
und ließ das Bier durch den Hahn laufen. »Wenn die mit ihrer neuen Partei
richtig loslegen, dann wirste demnächst ganz viel Zeit zum Angeln haben.«
    »Was für eine Partei?«, fragte Lohmann erstaunt.
    »Der Steenken und ein paar weitere Insulaner wollen dir den
Kampf ansagen. Habe ich zumindest gehört. Genaues weiß ich nicht. Aber dass die
mit der jetzigen Regierung hier nicht einverstanden sind, das habe ich schon
mitbekommen.«
    »Wieso weißt ausgerechnet du das? Von wem hast du diese
Neuigkeit? Erzähl!«
    »Tut mir leid. In meinem Job bin ich nun mal Geheimnisträger.
Aber es ist wohl klar, dass sich so was an der Theke als Erstes rumspricht.
Bist doch oft genug mit deinen Kumpels dabei.«
    Lohmann wurde wütend. Nicht nur, dass er seine Felle schwimmen
sah; die Worte dieses Mannes ließen jeden Respekt vermissen. Und das, obwohl er
und seine Freunde hier Stammkunden waren. Er war versucht, ein Geldstück auf
die Theke zu werfen, entschied sich dann dagegen.
    »Schreib’s auf den Deckel«, sagte er knapp. Er leerte sein Glas
mit kräftigem Zug, ohne ein einziges Mal zu schlucken. Dann nahm er seine Angel
und drehte sich noch einmal kurz zu dem Mann hinter der Theke um, der betont
unaufgeregt ein Weizenbierglas polierte. »Pass bloß auf, du Würstchen. Mach
dich nicht unbeliebt. Noch gilt mein Gesetz auf dieser Insel. Und dazu gehört
auch die Überwachung der Sperrstunde.«
    Ohne den Wirt noch eines Blickes zu würdigen, rauschte Lohmann
auf direktem Weg in seine Dienstwohnung. Die war zwar ungemütlich, aber wenigstens
wartete dort keiner mit dummen Sprüchen auf ihn. Die Zeiten waren vorbei,
seitdem seine Frau ihn verlassen hatte und wieder in Oldenburg wohnte. An einem
späten Nachmittag vor zwei Jahren hatte sie ihre Koffer gepackt und die letzte
Fähre genommen. Erst am nächsten Morgen hatte er ihr Verschwinden bemerkt. Er
war in die Küche gekommen und hatte feststellen müssen, dass das Frühstück
nicht fertig war. Der Gedanke daran ärgerte ihn heute noch.
    Ungewohnt nachlässig warf Lohmann seine Angel aufs Bett. Er
musste seinen Posten behalten. Wo sollte er sonst hin? Nirgendwo konnte er so
einen lauen Lenz schieben und derart ungestraft seinem Hobby nachgehen. Er
wollte nicht wieder am Festland in die Fesseln einer strengen Amtsbürokratie
geraten. Das hatte er nicht verdient.
    Er musste dringend etwas unternehmen.
     
    Montag
    Er holte aus und schlug zu. Klara Ufken prallte zurück und
schrie auf. Entsetzt schaute sie ihren Kollegen Frank Visser an, dann ihre
Hand, die wie automatisch dem Schmerz zur brennenden Wange gefolgt war. Blut.
Ein schmaler Streifen Blut klebte an ihrer Handfläche, daneben ein kleiner, platter
schwarzer Körper.
    »Entschuldigung, da war eine Mücke. Ich dachte, bevor sie
sticht …«
    Sie schluckte. Bloß nicht heulen. Er würde
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