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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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wissen, daß einer an Gedächtnisschwäche leidet, wenn der Betreffende selbst keinen Ton davon sagt?« gab Renee zurück. »Das ist nämlich die Krankheit, an der du leidest – Amnesie. Was das für ein Wesen ist, das dich vereinnahmt hat, ist im Moment gleich. Fest steht, daß es dein Gedächtnis blockiert und dich glauben macht, du wärst ein Teil von ihm.«
    »Vielleicht können wir das ganz genau feststellen«, sagte Barry ruhig. »Es gibt ja Archive, in denen die Zeitungen aus all diesen Jahren verfügbar sein müßten. Vielleicht finde ich auch noch andere Sachen, die ich geschrieben habe.« Neue Hoffnungslosigkeit überwältigte ihn. »Aber das alles hilft mir nicht, wenn ich mich von diesem Wesen nicht trennen kann – immer vorausgesetzt, daß ich nicht doch eine erfundene Person bin, derer es sich bedient. Und ich kann mich nicht von ihm lösen, weil wir denselben Raum und dieselbe Zeit bewohnen. Ich habe einmal mit ihm gesprochen, und da sagte es, wir befänden uns in einer Zeit und einem Raum und könnten nicht voneinander getrennt werden. Es sagte, das wäre so, als wollte man die Vorder- von der Rückseite trennen, die Lichtseite von der Schattenseite.«
    Renee sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, daß er über den gewachsten Boden rutschte.
    »Das ist nicht wahr!« rief sie und kniete neben Barry nieder. Sie legte ihre Arme um ihn und küßte sein Gesicht und seinen Hals. »Barry, es hat dich belogen. Ich weiß, daß es dich belogen hat.«
    Er streichelte das schimmernde schwarze Haar und sog ihren Duft ein, während er sich fragte, ob sie je imstande sein würde, der nackten Wahrheit ins Auge zu sehen, wenn er selbst nicht dazu imstande war.
    »Doch, es ist wahr.«
    »Nein, es ist nicht wahr! Da oben im Gebirge! Weißt du nicht mehr?«
    »Nach der Schießerei beim Auto bin ich nur noch ein einziges Mal hervorgekommen, als Lowden dich gepackt hatte. Ich konnte es einfach nicht mitansehen, daß er dich so grob anfaßte.«
    »Das ist es ja gerade«, sagte Renee und schüttelte ihn. »Weißt du es denn nicht mehr?« Sie sah ihre Tochter an, die auf Barrys anderer Seite stand. »Mina, du erinnerst dich doch, nicht wahr? Du weißt doch noch, wie die große Miezekatze dich von dem Mann wegholte, der dich im Dunkeln von mir weggerissen hatte? Du weißt doch noch, wie die Lichter angingen?«
    Mina nickte. »Die große Miezekatze hat den Mann ganz fürchterlich gebissen, und dann sind die Lichter angegangen.«
    »Und hast du da Barry irgendwo gesehen?« hakte Renee nach.
    »Der war doch drüben bei dir und hat Mr. Lowden totgemacht«, erwiderte sie und blickte Barry staunend an. »Wie hast du das geschafft?«
    »Das kann nicht sein«, sagte Barry ungläubig. »Das ist ganz unmöglich.«
    »So war es aber«, entgegnete Renee. »Ich habe euch beide gesehen. Das Tier war bei Mina, mindestens acht bis zehn Meter entfernt, und du warst neben mir.«
    »Das stimmt«, meinte Barry. »Ich erinnere mich, daß ich Lowden niedergeschlagen habe, aber das war zur gleichen Zeit …« Er sah zu Renee hinunter, und ein Ausdruck ungläubiger Freude breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Getrennt«, sagte er langsam. »Wir waren getrennt!«
    Später, als Mina schlief und sie sich allen übernatürlichen Wesen zum Trotz ihrer Liebe hingegeben hatten, sagte Barry: »Wenn ich dir das alles schon vor langer Zeit erzählt hätte, dann hätten wir gemeinsam etwas tun können.«
    »Ja, dazu sind Ehefrauen nämlich unter anderem da«, erwiderte Renee. Ihre Stimme klang schläfrig, doch sie wollte ihm noch etwas sagen. Barry spürte es und wartete ruhig. »Außerdem«, erklärte sie schließlich und gähnte herzhaft, »mußt du ein echter Mensch sein, weil ich nämlich schon zweimal hintereinander keine Periode hatte, und das heißt, daß du Vater wirst.«

    Das Haus ist wieder still. Ich verwandle mich und bleibe einen Moment lang neben der Frau liegen, um sie mit allen meinen Sinnen wahrzunehmen. Die Wärme ihrer Lebensschwingungen hüllt mich ein, der Honigduft ihres Körpers nach der Liebe. Während ich über diese drei Menschen nachdenke, deren Leben ich teile, erkenne ich, daß es ein ganzes, unteilbares Leben ist, ein Mensch zu sein.
    Ich gleite aus dem Bett und hinke nach draußen, wo ich in der kühlen Nachtluft nachdenken kann. Am Rand des Rio Grande lege ich mich nieder und lasse mir durch den Kopf gehen, was diese Menschen entdeckt haben – das unerwartete Gestaltwerden meines Menschenwesens in einem abgetrennten Raum.
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