Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
Vom Netzwerk:
den tiefhängenden Oktoberwolken ergoß. Er bedeckte seine Augen mit der Hand, die die alte Büchse hielt, und wollte eben den Namen Gottes aussprechen, als eine blendende weiße Stichflamme aufzuckte, der ein krachender Knall folgte, wie ein Donner auf den Blitz.
    Was blieb, war Blindheit. Als seine Augen ihr Sehvermögen wiedergewonnen hatten, war der Himmel leer, das Moor so naß und still wie zuvor. Der Mann stand knietief im Wasser, wie einer, der von einem Zauber gebannt ist. Langsam fiel die Hand herunter, die die Augen bedeckt hatte, während die andere sich von selbst nach der Flasche tastete, und er versetzte sein Hirn wieder in den vertrauten Zustand der Benebelung, der für ihn Bewußtsein war.
    »Also so was«, murmelte der Mann und machte kehrt, um zu seiner Hütte zurückzutrotten. Seine Knie schlotterten. Nur heim, dachte er. Vergiß die komischen Bären. Und das tat er.
    Auf der kleinen Insel war ein eiähnliches Ding abgelegt, und so geschickt getarnt worden, daß nicht einmal ein Jäger, der ohne Eile des Wegs gekommen wäre und sich darauf niedergesetzt hätte, imstandegewesen wäre, es als einen Fremdkörper zu erkennen. Doch wenn er an jener Stelle sein Lager aufgeschlagen und regelmäßige Messungen vorgenommen hätte, dann hätte er festgestellt, daß das Ding im Lauf der Wintermonate langsam zu einem Vielfachen seiner ursprünglichen Größe anwuchs. An einem der ersten warmen Abende des folgenden Frühjahrs schließlich zersprang das Ei glatt und sauber in zwei Teile, ein verrotteter Baumstumpf, der sich plötzlich spaltete, und ein Tier erhob sich aus seinem Inneren, seine Glieder zu recken und sich aufmerksam umzusehen.
    Es hätte ein ausgewachsener Luchs sein können oder vielleicht ein schmalwüchsiger Bär, denn es hatte keinen Schwanz. Sein Kopf war groß und rückwärts gerundet, die Augen die eines Nachttiers, grün mit sehr großen Pupillen, und die Hinterläufe waren mit einem zusätzlichen Gelenk ausgestattet, das es dem Tier ermöglichte, sich in aufrechter Haltung ebenso leicht und behende zu bewegen wie auf allen Vieren. Die breiten Pfoten, deren Abdrücke im Schlamm des Moors sich wie Bärenspuren ausnehmen würden, hatten einziehbare Zehen und Krallen, die es dem Bären oder der Katze oder was es eben sonst war, gestatteten, Gegenstände festzuhalten und nach Menschenart zu handhaben. Schon in diesem Augenblick seiner Geburt besaß das Tier einen festen Bestand an Erinnerungen, die ihm mitgegeben waren, um durch gewisse emotionale Abläufe abgerufen zu werden; obwohl es also das eigene Wesen nicht seinem ganzen Umfang nach verstand, wurden doch seine unmittelbaren Ziele von der Macht des Instinkts bestimmt, dem es so fraglos gehorchte wie dem Trieb, zu überleben. Wie bei der Larve der Eintagsfliege, wie bei der Schmetterlingspuppe war das Dasein dieses Geschöpfs festgelegt und befand sich doch zugleich in einem Übergangsstadium:
    Während es noch in der Gegenwart lebte, so wie seine Anlagen es ihm erlaubten, entfaltete sich sein Leben schon in einer Fülle unbekannter Möglichkeiten.
    Die Tiere des Moors lernten dieses neue Raubtier fürchten, das mit unheimlichem Gespür ihre Verstecke aufstöberte, das schneller und erbarmungsloser war als die Wildkatze und die Klapperschlange. Einmal unvorsichtigerweise von einem rasenden Köter angegriffen, hatte das fremde neue Tier so blitzartig und wirkungsvoll zurückgeschlagen, daß der Hund verendete, während seine Zähne noch einen Fetzen lohfarbenen Fells umklammert hielten, tot, ehe er auch nur aufheulen konnte.
    Nach einiger Zeit überkam Rastlosigkeit das Tier, und es wanderte fort aus den Sümpfen in die Lebensbereiche der Menschen. Dieses wunderliche Gespür, das es besaß, trieb es, nach etwas zu suchen, das es brauchte, nach etwas, das die nächste Phase seines Wachstums auslösen würde. Siedlungen meidend, trabte es bei Nacht von Gehöft zu Gehöft, lag manchmal stundenlang eng an die steinernen Grundmauern gedrückt, als lauschte es, als er spürte es irgendwie die Menschen, die im Inneren des Hauses lebten. Die Hofhunde verstummten, ließen nicht einmal ein Knurren hören, und schlichen sich davon, wenn das Geschöpf sich näherte. Als es gefunden hatte, was es suchte, sorgte es selbst dafür, daß die Menschen, die es ausgewählt hatte, es einfangen konnten; nur fand der Bauer nicht ein schreckliches Untier, sondern einen hilflosen kleinen Jungen von fünf Jahren, der, wie es schien, mutterseelenallein war und sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher