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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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fragte die Frau und schob sich wieder an mich.
    »Ich – äh – ich hab’ kein Geld«, erwiderte ich.
    »In dem piekfeinen seidenen Anzug? Hör mal, Süßer, das kannst du mir nicht vormachen, und ich seh’ doch, daß du heut’ Abend was brauchst. Komm mit, dann zeig ich dir was, das du so schnell nicht vergißt.«
    »Du stinkst«, sagte ich und wich noch weiter zurück.
    »Was bildest du dir ein, du beschissener Bauernlümmel«, schrie sie plötzlich, und ein Strom weiterer Flüche und Obszönitäten folgte mir, als ich mich abwandte und davonlief. Ich kam mir blöde vor und fühlte mich zugleich angewidert. Lieber würde ich, wie ich es in den vergangenen Nächten getan habe, bei jedem anderen Geschöpf die Stillung meiner Lust suchen. Der Gedanke bringt mir Aufheiterung in diesen schmutzigen, stinkenden Straßen, und mir wird warm bei der Erinnerung an erregt hechelnde Hündinnen, den wilden Schauer der Vereinigung mit einer Stute, das hitzige Brüllen der Kuh, wenn sie bestiegen wird. Und bei der Erinnerung an den jähen Ansturm sinnlicher Empfindungen auf dem Höhepunkt, der mich stets mit einer Eruption jauchzender Sinnenfreude in meine natürliche Gestalt zurückschleudert. Jetzt warte ich auf den Mond, und dann geht es zurück zu meiner Familie, zu Renee diesmal, der dunklen Schwester von Vaire, Roberts stiller Liebe.
    Irgend etwas verbindet mich mit der Familie, so als wäre sie meine verlorene Heimat. Meine Erinnerungen reichen nicht weiter zurück als bis zu jener Nacht vor einem Jahr, als ich meine erste menschliche Gestalt annahm. Das, was davor liegt, ist ohne Form und ohne Zusammenhang, das sprachlose Leben des jungen Tiers. Mit drei Grundsätzen ausgestattet, erwachte ich zum Leben: Ich bin und ich werde sein; es gibt keine Zeit, zu der ich nicht bin. Mein Bedürfnis schafft mein Selbst. Alleinsein ist sicher sein. Doch jetzt erhellt sich der Himmel langsam, und ich fühle den Mond ebenso sehr wie ich seinen frühen Glanz sehe. Ich spüre die Kraft, die immer von ihm ausgeht, wenn er voll ist, die zarte Ahnung einer Verheißung, die erfüllt werden muß. Ich stehe auf und schüttle mich, strecke meine Glieder und mache mich auf den Weg, den Sandstrand entlang. Sobald ich die Straßen und den Verkehrslärm hinter mir habe, folge ich der Uferlinie um den See, tauche ins Wasser, wenn ich das tun muß, um Landestege und Häuser zu meiden. Die Nacht ist warm, das Wasser eine eisige Wonne, in die ich mich hineinstürze, um an dunklen Gebäuden vorbeizuschwimmen. Der Mond steht hoch am Himmel, als ich mich ostwärts wende und den See hinter mir zurücklasse. Ich fühle, daß ich nach Hause gehe.

    Im Vorort einer anderen Stadt, die kleiner ist als Chicago, habe ich zwei Nächte lang dicht unter den Fenstern ihres Hauses gelegen und mit meinen Sinnen ihr Leben erforscht, während ich jedem Wort lauschte, das gesprochen wurde. Ich kenne den zornigen Mann, die stille Frau, die hin und her gerissen scheint von ihren Gefühlen, das kleine Mädchen, das ein Sonnenstrahl ist in diesem düsteren Haus. Tagsüber habe ich in einem Abflußrohr unter dem Highway geschlafen, und nun taste ich in einer unendlichen Leere nach dem Menschen, der meinem Bedürfnis dienen wird. Der Name trifft mich wie ein plötzlicher Lichtstrahl aus der Finsternis. Ich sage ihn mit meiner Zunge, während ich mein Bewußtsein in einem blendenden Licht in seinen Kern hineinsenke. Ich verwandle mich. Die dritte Person erscheint.
    Der blonde junge Mann, der voll gespannter Ungeduld schien, eilte die lange Vorortstraße hinunter, während er versuchte, aus der Reihe der Häuser, die einander glichen wie ein Ei dem anderen, das richtige herauszufinden. Lächelnd blickte er zum verhangenen Himmel hinauf, wirkte ein wenig tolpatschig, beinahe kindlich in seiner strahlenden Unbekümmertheit. Er schien mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Ein Hund stürzte heraus und bellte ihn an, doch der junge Mann machte nur eine simple Geste, während er den Kopf leicht zur Seite neigte, und der Hund sprang blaffend um ihn herum, als wäre er ein alter Freund. Sein dunkelblauer Anzug war ihm eine halbe Nummer zu klein, was ihm etwas Naives, Provinzlerisches gab. Den Hut trug er schräg in die Stirn gedrückt, und hin und wieder pfiff er ein paar Takte eines Liedes, während er die Namen auf den Briefkästen am Bürgersteig las.
    Endlich fand er den richtigen. WILLIAM HEGEL, stand da in Druckbuchstaben. In der warmen Abenddämmerung blieb er stehen und
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