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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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Die Frau hat richtig gesehen. Ich erinnere mich.
    Ich weiß auch, daß meine Liebe zu Mina irgendwie die mir innewohnende Notwendigkeit getilgt hat, andere Geschöpfe meinem Willen Untertan zu machen. Es ist nicht so, daß ich es nicht mehr tun kann; es ist vielmehr so, daß ich nicht mehr das Verlangen habe, es zu tun. Sie hat eine Leere ausgefüllt, von der ich nicht wußte, daß sie da war. Doch was ist mit Barry? Und was mit seiner Menschensituation, der Schwangerschaft der Frau? Ich empfinde jetzt eine tiefe Teilnahme mit diesen Menschen, die in der Tat meine Familie sind. Ich möchte ihnen helfen, wenn ich kann. Das ist die Veränderung, die ich spüre. Es muß da eine vierte Regel geben, die ich erst lernen konnte, als ich sie erfahren hatte: Die Liebe gibt den Sinn.
    Als ich im Schatten der Balsampappeln zum Haus zurückhoppele, beginnt mein Herz schneller zu schlagen, noch ehe mein Raumsinn ihre Anwesenheit aufnimmt. Mina erwartet mich auf der dunklen Veranda neben der Hängematte. Es ist, als wäre sie mein Junges, schießt es mir durch den Kopf, als ich durch den schattigen Garten zu ihr hineile.
    »Heute nacht will ich nicht reiten«, sagt sie und zieht mich am Hals, damit ich mich neben sie niederlege. Ich fühle ihren Atem an meinem Ohr, ihren kleinen Arm um meinen Hals. Eine Zeitlang kuschelt sie ihren Kopf in mein Fell.
    »Ich bin bestimmt das einzige Kind auf der Welt, das einen Menschenvater hat und einen Miezekatzenvater«, murmelt sie schließlich.
    Wir haben dich beide lieb, Mina, erwidere ich und ahne schon, was sie mich jetzt bitten wird.
    »Und ich möchte auch nicht, daß du fortgehst«, flüstert sie und streichelt meine Ohren. »Aber Mami und Barry sind meine richtigen, echten Eltern, besonders jetzt, wo ich bald einen Bruder oder Schwester bekomme.«
    Du möchtest, daß ich auch zu eurer Familie gehöre? Ich verspüre Beklommenheit tief im Inneren, als mir klar wird, was ich für dieses Kind an meiner Seite zu tun bereit bin.
    »Könntest du nicht Barry jetzt meinen einzigen Papa sein lassen?« fragt sie und richtet sich auf, um mir in die Augen zu sehen. Ich fühle, wie ihr Geist forschend in den meinen eindringt. Sie besitzt große, noch unentwickelte geistige Kräfte. »Dann könntest du doch zur gleichen Zeit auch da sein und jagen und spielen, wann du willst.«
    Dein Papa und ich können nicht voneinander getrennt werden. Oder war das eine Illusion? Ich weiß nicht, wie das gehen sollte, Mina. Aber ich habe dich sehr lieb, und ich werde dir und Barry und Renee helfen, damit ihr eine richtige Familie sein könnt.
    Sie versteht, was ich meine, denn ihr Geist ist jetzt nahezu eins mit dem meinen. Sie seufzt, und ich spüre, wie ihr Körper sich entspannt. Nach einer Weile ist sie eingeschlafen, und ich stehe auf, hebe sie hoch und trage sie in ihr Bett hinauf. Sie schläft tief und fest weiter.
    Wieder draußen, im kühlen Staub der Grabenböschung, lege ich mich nieder wie eine ermattete Hauskatze und betrachte den spät aufsteigenden Mond. Es ist ein abnehmender Mond, und sein fleckiges Gesicht vermag nichts von der Faszination in mir zu wecken, die es sonst auf mich ausübt. Ich habe mich bereit erklärt, mich um meiner Familie willen selbst zu bezwingen. Bei diesem Gedanken ist mir, als fiele irgendwo sachte eine Tür ins Schloß. Etwas entgleitet mir, vielleicht die Wildheit. Vielleicht ist es das, was Erwachsenwerden heißt, für andere, die man liebt, Verantwortung zu übernehmen. Dies ist meine Familie. Ich habe sie vor dem Tod bewahrt. Während sich in meinem Geist der Entschluß formt, erinnere ich mich an Tante Cat, die mich für einen bösen Geist hielt, und an Charles, der mich das Tier nannte. Doch ich wollte nur die Liebe der Menschen lernen. Mir scheint jetzt, daß ich den Übergang geschafft, daß ich den Schritt vom unbesonnenen Tier zu Bewußtheit und Mitgefühl bewältigt habe. Ja, ich werde es tun, um der Liebe willen.
    Langsam stehe ich auf und humple ins Haus, wo meine Familie schläft.

    Hier endet das
    Zweite Buch vom Untier

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