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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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hatte sie Mühe den Wagen zu halten, der immer wieder über kantig hervorspringende Felsbrocken sprang und in tiefen Schlaglöchern versank. Doch sie biß die Zähne zusammen und redete mit Mina, nur um ihre Stimme zu hören und zu wissen, daß ihr nichts geschehen war. Schaukelnd glitten sie in einen Graben, rumpelten wieder heraus, und dann trat sie auf die Bremse.
    Das Tier war aus den Bäumen aufgetaucht und stand jetzt neben dem Wagen, mühte sich, die Tür zu öffnen. Es keuchte vor Anstrengung und hielt den linken Hinterlauf vom Boden hochgezogen. Unter großen Mühen kletterte es neben sie auf den vorderen Sitz und legte sich auf seiner rechten Seite nieder, so daß der massige, goldbraune Rücken ihr zugewandt war und sie fast aus ihrem Sitz drängte. Sie roch Blut und die Ausdünstung des Tieres selbst, nicht unangenehm, dem Geruch eines jungen Hundes ähnlich, wie sie sich später erinnern sollte. Die Hinterläufe angezogen, den Kopf gegen das Wagendach gestemmt, schien es sich irgendwie völlig verkrampft zu halten, und Renee fragte sich, ob es irgendwo eine Schußverletzung hatte. Sie empfand es als absurd, das Tier zu fragen, ob ihm auch nichts passiert wäre, doch es schien so menschenähnlich, daß sie nicht umhin konnte.
    Nur ein Beinbruch, schien das Tier zu antworten, und Renee sah, daß Mina hinten aufstand und mit ihrer kleinen Hand über den großen goldbraunen Kopf strich.
    »Sie ist verletzt, Mami«, sagte sie mit Tränen in der Stimme.
    Es ist nichts, Mina, schien das Tier zu sagen, ohne sich zu rühren. Ich kann es selbst heilen, aber dazu muß ich eine Zeitlang ganz still liegen.
    »Wo treffen wir Barry?« fragte Renee unruhig.
    Er ist in Sicherheit, sagte das Tier wieder.
    »Ich habe ihn da hinten gesehen, kurz bevor wir abgefahren sind«, erklärte Renee. »Aber wo ist er jetzt?«
    Mühevoll drehte das Tier den Kopf, und im dämmrigen Dunkel des Wagens konnte sie sein Gesicht sehen. Sie spürte den Blick seiner grünen Augen einen Moment lang unverwandt auf sich ruhen, dann wandte es sich wieder ab.
    Du hast ihn nicht gesehen, sagte es.
    »Doch«, schrie sie beinahe. »Ich habe ihn gesehen, als das Auto gegen den Baum gefahren ist. Er war –« Der Laut, den das Tier von sich gab, war so erschreckend, daß sie abbrach. Es hatte geknurrt.
    Er ist in Sicherheit, sagte das Tier schließlich, und seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Er wird bald nach euch daheim ankommen, sagte es mit ersterbender Stimme. Und jetzt darf ich nicht mehr sprechen.
    Sie konnte nur weiterfahren. Hinter ihr waren das Feuer und die bewaffneten Männer. Sie mußte diesem übernatürlichen Geschöpf vertrauen und mußte darauf vertrauen, daß Barry sich allein durchschlagen würde. Schließlich, dachte sie, war er ja auch dem Trupp Männer entkommen, der mit dem Auto ausgezogen war, ihn zu töten. Nein, ihm war sicherlich nichts passiert.
    Die Straße bog plötzlich scharf nach links ab und wand sich in einer langen Folge von Haarnadelkurven abwärts, die weniger Querrinnen hatten, weniger Schlaglöcher, weniger tiefe Furchen. Doch auf der einen Seite stand jetzt entweder die dunkle Mauer des Waldes oder kantiges Felsgestein, während auf der anderen die schwarze Leere des Abgrunds gähnte, der die Lichtstrahlen der Scheinwerfer verschluckte. Bei jeder Linkskurve sah sie am Himmel den Abglanz des Feuerscheins und jedesmal dachte sie, er ist uns voraus. Er ist in Sicherheit. Dennoch ließen sich die Tränen nicht zurückdrängen, rannen ihr ungewollt über die Wangen, während sie angespannt auf die Straße hinausblickte und den Atemzügen ihrer Mitfahrer lauschte – dem Stöhnen des Verletzten, der auf dem Rücksitz lag, dem gelegentlichen Knurren des mächtigen Tiers an ihrer Seite.
    Und sie hatte ihn doch gesehen. Einen Moment lang hatte seine Hand auf ihrem Arm gelegen. Wieder fiel ihr dieses seltsame Gefühl ein, als seine Hand ihren Arm verlassen hatte. Nein, dachte sie, er hatte etwas zu tun, er mußte schnell weg, er ist in Sicherheit. Alles wird gut werden. Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken.
    Dann endlich wurde die Straße breiter und flacher, die Bäume schrumpften, und sie kamen zu einer Kreuzung. Das Tier brummte, sie solle nach rechts abbiegen, und sie gelangten auf eine Schotterstraße, die so glatt und eben war, daß man hätte meinen können, sie wäre asphaltiert. Sie gab Gas und hatte das Gefühl, in die Welt zurückgekehrt zu sein. Etwas wie Freude blitzte in ihr auf, als ließe
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