Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
Vom Netzwerk:
linkes Bein war bis über das Knie in einem Gipsverband.
    »Barry!« flüsterte sie wild, als sie einander umarmten, und seine Krücken zu Boden polterten. Lange Zeit hielten sie einander stumm umfangen, sprachen nichts, genossen nur die gegenseitige Nähe.
    »Auf die Art und Weise nützt du dein gesundes Bein auch noch ab«, bemerkte Judy schließlich lachend und reichte Barry seine Krücken.
    Dann gingen sie alle zusammen hinein und redeten fast ohne Unterlaß. Mina erzählte von der großen Miezekatze, Renee berichtete von dem lächerlichen Haufen Nazis und Barry von seiner gemeinsamen Detektivarbeit mit Vaire und seinen Abenteuern mit Mr. Frake und der State Police. Als es dann allmählich stiller wurde, und die warme Vertrautheit des Hauses sie wieder umfing und Judy Rossi erklärte, sie müßte jetzt wirklich nach Hause, kam beinahe etwas wie Scheu zwischen Barry und Renee auf, die einander halb verstohlene Blicke zuwarfen und mit Tränen in den Augen lachten. Mina lachte sie aus und umarmte sie abwechselnd, und Judy verkündete, soviel Liebe wäre beneidenswert.
    Es war Zeit, das Leben wieder aufzunehmen, und es gab gewisse Realitäten, die erledigt werden mußten. Nachdem sie sich geeinigt hatten, die Polizei erst am folgenden Tag anzurufen und zum Abendbrot einfach kalt zu essen, ansonsten aber vorläufig alle Fünfe gerade sein zu lassen, blieb dennoch etwas zurück, das an Renee nagte und sich nicht abschütteln ließ – so lästig wie ein Insektenstich, ein Stein im Schuh, ein Staubkörnchen im Auge.
    »Dein Bein –«, begann sie, als sie nach dem Abendessen am Tisch saßen und Kaffee tranken.
    »Da hab’ ich ein bißchen Pech gehabt«, meinte Barry lächelnd. »Aber es ist nicht weiter schlimm, wenn man bedenkt, wie diese Idioten da oben rumgeballert haben.«
    Sein Lächeln erlosch, als er die feine Falte zwischen ihren Brauen sah.
    Sie wollte es nicht fragen, konnte es eigentlich nicht einmal denken, aber sie sagte es doch.
    »Das große Tier ist auch angeschossen worden. Auch ins linke Bein.« Als sie es gesagt hatte, die Verbindung hergestellt hatte, spürte sie, wie ihr Gesicht kalt wurde und sah an Barrys Gesichtsausdruck, daß jetzt etwas ausgesprochen worden war, was ungesagt, was ein Geheimnis hätte bleiben sollen. Plötzliche Angst stieg in ihr auf, und am liebsten hätte sie die Uhr zwanzig Sekunden zurückgespult. Ach, wenn es doch nur dieses eine Mal möglich gewesen wäre!
    Die Kaffeetasse in der Hand, saß Barry sehr still da und blickte unverwandt seine Frau an, als wäre er zu Stein erstarrt. Sie hatte es ausgesprochen, hatte all den unerwünschten Erinnerungen die Tür geöffnet, den Erinnerungen an das geheimnisvolle Tier, das ihre Familie heimgesucht hatte, an das lohfarbene Tier in dem großen, eisernen Käfig, an die grünen Augen, die sie an jemanden erinnert hatten. Und jetzt blickte sie mit Entsetzen in die tiefgrünen Augen ihres Mannes, die sie noch immer unverwandt anstarrten.
    Sie riß ihren Blick von seinem Gesicht und drehte sich so langsam um, als schwämme sie unter Wasser, sah ihre Tochter an, die mit dem gleichen erschreckten, versteinerten Gesicht wie Barry auf ihrem Stuhl saß. Ich glaube das nicht, dachte sie. Ich werde eine direkte Frage stellen, und wenn sie mich daraufhin für verrückt halten. Mir ist alles gleich, wenn die Welt nur wieder ihr altes Gesicht bekommt und ich nicht diese Wahnsinnsgedanken denken muß. Doch sie konnte nicht sprechen. Die Blicke ihres Mannes und ihrer Tochter lasteten wie Gewichte auf ihr, und die Stille im Zimmer erstickte sie. Schließlich jedoch holte sie keuchend Atem und hob den Kopf.
    »Ihr beide wißt etwas, das ich nicht weiß«, sagte sie und hatte dabei das Gefühl, als schwebte ihr Geist über dem Nichts.
    »Ja«, antwortete Barry sehr leise, »aber es ist schwer zu glauben, und ich habe mir immer gewünscht, daß ich es dir nie sagen muß.«
    »Sag es mir jetzt«, erwiderte Renee und lehnte sich mit hängenden Armen auf ihrem Stuhl zurück.
    »Das Tier und ich«, sagte Barry immer noch sehr leise, »bewohnen denselben Raum, denselben Körper.«
    Sie rührte sich nicht; nicht einmal, als ihre Tochter zu ihr kam und ihre Hand nahm.
    »Ich habe immer gehofft«, fuhr Barry fort, die Hände gefaltet wie im Gebet, »ich würde eines Tages ein Mittel finden, es für immer daran zu hindern, daß es herauskommt. Mit einem Amulett vielleicht, aber ich glaube, ein solches Mittel gibt es nicht.« Hilflos zuckte er die Achseln.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher