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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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merkwürdig. Und meine Schwester Vaire sagte tatsächlich, sie hätte es selbst gesehen.«
    Renee brach ab und sah ihren Mann an, als hoffte sie, er würde ihr weiterhelfen. Doch er schwieg, die Augen unverwandt auf Barry gerichtet, als wollte er sich seine Gesichtszüge für immer einprägen.
    »Es?« fragte Barry. »Was geschah denn mit dem Kleinen?«
    »Oh, ihm ist nichts passiert. Er verschwand ein paar Tage lang, und man glaubte, das Tier hätte ihn verschleppt, doch er sagte, er hätte sich im Heuboden versteckt.« Sie hielt wieder inne, doch diesmal sah sie ihren Mann nicht an.
    »Ja, die Geschichte von diesem Tier war reichlich merkwürdig, das fand ich auch«, meinte Barry. »Ich bin Robert überhaupt erst durch einen Zeitungsausschnitt auf die Spur gekommen, den ich von einem Freund bekam. Er – ich meine, dieser Freund – arbeitet für eine Nachrichtenagentur in Albuquerque, wo ich damals lebte, und eines Abends rief er mich an und erzählte mir von diesem Artikel, den er im Grand Rapids Examiner über einen Jungen namens Robert Burney gelesen hatte. Wir hatten ja geglaubt, er wäre tot.«
    Aufmerksam betrachtete er Renees Gesicht und hatte den Eindruck, daß er ihr helfen konnte, wenn er ihr noch etwas Zeit ließ, indem er zunächst von seiner Seite berichtete.
    »Vielleicht sollte ich Ihnen ein bißchen was über mich selbst erzählen. Ich versuche, mir als selbständiger Schriftsteller einen Namen zu machen. Ich lebe im Südwesten, zur Zeit meistens in Phoenix. Mein Bruder und seine Frau nahmen damals gerade an Ausgrabungsarbeiten in Guatemala teil, wo eine Ruine aus der Mayazeit entdeckt worden war. Er hatte an der Universität von New Mexiko Archäologie studiert und arbeitete an seiner Dissertation, und seine Frau und der Kleine hatten ihn nach Guatemala begleitet, um bei ihm sein zu können. Sie schrieben faszinierende Briefe über die Menschen und das Leben dort. Sie hatten einen kleinen See entdeckt, eine wahre Fundgrube an archäologischen Schätzen, wie sie meinten, größtenteils aus der Zeit, die der Hochkultur der Mayas vorangegangen war. Aber am sechsten Mai letzten Jahres war dort ein Erdbeben. Es war an mittelamerikanischen Verhältnissen gemessen nicht einmal schlimm, doch in dem See öffnete sich ein Spalt, und innerhalb von Sekunden war das ganze Grabungsgebiet überschwemmt. Mein Bruder und seine Frau ertranken, und ich hatte angenommen, daß auch Robert ertrunken sein müßte. Ich bin hinuntergefahren –« Barry brach ab und hob eine Hand zum Gesicht, überrascht, daß Tränen in seinen Augen standen.
    »Wie schrecklich«, murmelte Renee.
    »In Guatemala war das?« fragte ihr Mann, sich wieder räuspernd. »Der Kleine ist den ganzen Weg von Guatemala hier heraufgekommen?«
    »Offenbar«, erwiderte Barry und griff zu seinem Taschentuch.
    Tief im Innern verspürte er Verwunderung über diese plötzliche Aufwallung von Emotionen. War er so versponnen in seine eigenen Lügen, daß er sie selbst glaubte?
    »Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, wie er es geschafft hat, sich bis hier herauf durchzuschlagen, wenn der Junge, der bei Ihren Schwiegereltern gelebt hat, wirklich der Sohn meines Bruders war. Ich bin nach Xachitito hinuntergefahren, das ist das nächste Dorf, aber die Frau, eine Einheimische, die sich um den Jungen gekümmert hatte, war nicht aufzufinden. Daraufhin vermutete ich, daß sie und der Junge auch umgekommen waren, obwohl einige der Leichen nie entdeckt wurden. Die Grabungsstätte war eingestürzt und bildete inzwischen einen Teil des Sees. Wir glaubten, sie müßten alle da unten auf dem Grund des Wassers liegen. Wenn man sich vorstellt, daß der Junge sich wirklich bis hier herauf durchgeschlagen hat – das könnte einem beinahe übernatürlich vorkommen.«
    Wieder hielt er inne und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Frau, die neben ihm saß, während er sich aus dieser unerklärlichen Anwandlung von Schmerz und Kummer befreite, die ihn mit solcher Heftigkeit überfallen hatte, als wäre die ganze Geschichte wahr und nicht eine Erfindung, die ihm nur als Vorwand diente, wieder Zugang zu der Familie zu finden. Tief in seinem Inneren war etwas belustigt, ihn im Gespinst seiner eigenen Lügen gefangen zu sehen.
    »Ja, übernatürlich«, hakte Renee ein. »Das ist genau das, was meine Mutter glaubt.«
    Sie wollte fortfahren, als Hegel sie unterbrach.
    »Wieso hieß der Junge Burney, wenn Sie Golden heißen«, fragte Hegel und beugte sich vor.
    Barry nahm eine
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