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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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sein eigenes Glas, das puren Whisky mit Eis zu enthalten schien, zu seinem Sessel beim Fenster. Seine Anwesenheit schien die Frau zu belasten. Einmal, als sie aus ihrem Glas trank, blickte sie kurz zu ihrem Mann hinüber, doch Barry entdeckte keine Regung in ihrem Gesicht, als sie ihn anblickte. Es war, als hätte sie jeden Ausdruck auf ihren Gesichtszügen gelöscht. Dann wandte sie sich wieder Barry zu.
    »Sie glaubten, oder zumindest meine Mutter glaubte, der kleine Junge wäre in Wirklichkeit ein übernatürliches Wesen, eine Verkörperung des Bösen.«
    Sie nahm ihr Glas und hielt es still vor sich hin, einen Moment lang verloren in Erinnerungen an jene seltsame Zeit.
    Barry griff ebenfalls zu seinem Glas und hielt es auf ähnliche Weise vor sich hin, trank dann daraus und beobachtete dabei Renees Gesicht, um zu sehen, ob sie auf dieses spiegelbildliche Verhalten reagieren würde. Es war ein vergnügliches Spiel, doch sie bemerkte es nicht. Und dann antwortete er.
    »Der Junge war knapp sechs, glaube ich. Warten Sie, ja, im vergangenen Juni wäre er sechs geworden. Und Ihre Mutter meinte …?« Er zögerte, sah zuerst Renee an, dann ihren Mann, der mit gespreizten Beinen, die Ellbogen auf den Knien, dasaß und die beiden auf dem Sofa mit gerunzelter Stirn beobachtete.
    »Komische Geschichte«, bemerkte der mürrische Mann und blickte Barry an, als wäre er derjenige, der in diese komische Geschichte verwickelt war. »Den Unsinn, daß ein streunender Hund über diese Männer hergefallen sein soll, hab ich nie geglaubt. Der eine starb, und der andere kann nicht mehr laufen. Wenn das ein Hund war, dann muß es ein Riesenvieh gewesen sein.«
    Barry blickte mit einigem Interesse zu dem finsteren Mann hinüber. Er schien kein Narr zu sein, wenn er auch ein recht ungehobelter Bursche war.
    »Glauben Sie etwa auch, daß mein Neffe ein übernatürliches Wesen ist?« Hegel schüttelte den Kopf.
    »An den Verletzungen dieser Männer ist nichts Übernatürliches, und am Tod meines Schwiegervaters auch nicht. Aber so schlicht, wie Walter das sieht, ist es bestimmt nicht.«
    »Walter?«
    »Das ist der Mann meiner Schwester«, erklärte Renee. »Mr. Golden, Sie halten uns wahrscheinlich für –«
    »Leicht angesäuselt«, warf Bill Hegel ein und kippte den Whisky in seinem Glas mit einem Zug hinunter.
    Renee sah ihren Mann mit so unverhohlenem Haß an, daß Barry darin zumindest einen Grund für seine Düsternis erkennen konnte.
    »Das ist überhaupt nicht komisch«, sagte sie.
    »Das hab ich ja gar nicht behauptet«, gab er zurück und stand auf.
    »Trinkst du jetzt noch einen?« fragte Renee ihn im scharfen Ton.
    »Für dich auch einen?«
    »Nein danke«, sagte sie sehr entschieden.
    Zwei Atemzüge lang trat eine Pause ein, die wie eine gähnende Kluft war. Es schien unsicher, ob das Gespräch fortgesetzt werden oder in einer ehelichen Auseinandersetzung untergehen würde, doch Hegel trottete aus dem Zimmer, und gleich darauf hörte man Gläserklirren aus der Küche. Renee wandte sich wieder Barry zu, und ihr Gesicht verbarg sich erneut unter der Maske kühler Ungerührtheit.
    »Meine Schwester und meine Mutter sind beide nicht abergläubisch und haben nie an Geister und solches Zeugs geglaubt.« Flüchtig senkte sie die Lider, dann sah sie ihm wieder in die Augen. »Zumindest war das vor dem Tod meines Vaters so. Jetzt scheint sich bei meiner Mutter etwas geändert zu haben. Seit der Kleine weggelaufen ist, ist sie offenbar überzeugt davon, daß er von einem teuflischen Geist besessen war. Einmal schleppte sie Vaire und meinem Schwager sogar einen Spiritisten ins Haus, der den Jungen hypnotisierte, und der Mann behauptete hinterher, er hätte den Geist herausgelockt, und dieser hätte mit seinen Klauen nach ihm geschlagen. Er hatte auch tatsächlich ein paar Kratzer auf den Händen, aber Walter behauptete, die hätte er sich selbst beigebracht. Es war alles ziemlich scheußlich.«
    Während er ihr zuhörte, ließ Barry es zu, daß die Bilder, die aus dem nur dem Tier eigenen Erinnerungsschatz zu ihm emporstiegen, durch sein Gedächtnis flimmerten. Er nahm es daher kaum wahr, als Bill Hegel mit einem frischen Drink in der Hand wieder ins Zimmer kam und sich setzte.
    »Danach lief der Junge fort. Vaire mobilisierte die gesamte Polizei von Michigan, aber er war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Mit Mutter kann man seitdem über dieses Thema überhaupt nicht mehr sprechen. Ich hab es einmal versucht. Es hatte gar
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