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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene
Autoren: Robert Stallman
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sich umdrehte und den beiden Männern vorausging. »Er lebte erst bei meiner Mutter und dann bei meiner Schwester in Cassius.«
    Mit einem fraulichen Lächeln sah sie sich nach ihm um.
    »Robert Burney ist – oder war – mein Neffe«, erklärte Barry. »Er war der Sohn meines Bruders.«
    Ihr Mund war wie der ihrer Schwester, hatte den gleichen lockenden Schwung, die leicht nach oben gezogenen Winkel. Er blieb dicht hinter ihr, als sie zum Sofa im Wohnzimmer gingen. Der Raum wirkte ungemütlich, die Sessel zu modern und kantig, steife Lehnen, die zu niedrig waren, Sitze, die zu breit waren, um bequem zu sein. Über dem Sofa hing ein häßliches modernes Gemälde voller scharfer Nasen und zwiefacher Augen, dessen Anblick man nur entgehen konnte, wenn man direkt daruntersaß.
    Sie ließ sich am einen Ende des Sofas nieder, und Barry setzte sich mit gebührendem Abstand neben sie. Hinter sich hörte er, wie ihr Mann plötzlich nach Luft schnappte, als er beim Sofa stehen blieb. So abrupt machte Hegel kehrt, daß sein Schuh auf dem gewachsten Boden quietschte, und ging hinüber zum Sessel beim Fenster, der der Couch gegenüberstand. Auf seinen grobgeschnittenen Zügen lag ein Ausdruck, in dem sich grollende Hinnahme und, so schien es jedenfalls, ein schlecht verhohlener Haß auf alles mischte, was aus dem Rahmen des für ihn Alltäglichen fiel. Vielleicht war ihm Barrys Aussehen nicht angenehm. Wie auf dem Sprung hockte er auf der Sesselkante, die Arme zu beiden Seiten schlaff herabhängend. Barry gönnte ihm nur einen flüchtigen Blick, dann ignorierte er ihn und richtete seine Worte an Renee, doch die Gegenwart des Mannes blieb ihm bewußt als etwas Unheildrohendes, wie ein Felsbrocken etwa, der sich jeden Moment aus unsicherer Ruhelage lösen und aus der Höhe herabstürzen kann.
    »Als ich eben die Straße herunterkam, habe ich jemanden singen gehört. Waren Sie das?« fragte Barry sie.
    In einem Lächeln öffnete sie leicht die Lippen. Er starrte wie gebannt auf ihren Mund, als sie sprach.
    »Das Lied vom Zirkus?« erwiderte sie.
    »Ja, so eine Geschichte von einem frechen Affen und einem Leoparden.«
    »Es ist sehr populär.« Sie lächelte wieder. »Sicher haben Sie’s auch schon gehört. Ich hab es Mina als Gutenachtlied vorgesungen.«
    Es kostete Barry Anstrengung, sich auf den angeblichen Zweck seines Besuchs zu konzentrieren; ihre weiche Stimme war so erregend wie der saubere Duft ihres Haares, das Weiß ihrer Zähne, die zwischen ihren Lippen blitzten, der warme Druck ihrer glatten Hand in der seinen.
    »Mina ist unsere Tochter. Sie ist fünf und hätte am liebsten das ganze Haus voller Tiere.«
    »Der Kleine, Robert Burney, war also ein Verwandter von Ihnen, sagen Sie?« fragte Hegel mit rostiger Stimme. Er räusperte sich, als hätte er schon seit Wochen nicht mehr so viele Worte hintereinander gesprochen.
    »Ja. Seine Eltern, mein Bruder und seine Frau, kamen im vergangenen Jahr um, und zur gleichen Zeit ist Robert spurlos verschwunden.« Barry machte ein bekümmertes Gesicht. »Wir dachten, sie wären alle drei zusammen umgekommen. Diese Vermutung war unter den gegebenen Umständen ganz natürlich. Sie –«
    »Da sollten Sie lieber mit der Schwester meiner Frau sprechen«, unterbrach Hegel ihn unwirsch. »Bei ihr hat der Junge im letzten Sommer zwei Monate gelebt. Wir wissen nicht viel über die Sache.«
    Barry spürte Renees Zorn über die Unhöflichkeit ihres Mannes, doch er drehte sich um und sah Hegel an.
    »Ja, das ist mir klar«, erwiderte er und senkte die Lider, als wollte er um Verzeihung bitten. »Aber der Sheriff dort unten sagte mir, daß die Sache nicht gerade – äh, er meinte, das wäre ein ziemlich heikles Thema.« Barry hielt inne und warf einen hilfesuchenden Blick auf die Frau. Sie reagierte sofort.
    »Der Sheriff kennt unsere Familie seit Jahren. Er ist ein sehr netter Mensch, und meine Mutter – ach Gott, wußten Sie, daß in der Zeit, während Ihr kleiner Neffe bei meinen Eltern lebte, das Haus von Landstreichern überfallen und mein Vater erschossen wurde?« Sie machte eine Pause, während sie überlegte, wie sie ihm diese ganze merkwürdige Geschichte klarmachen sollte. »Es war eine schreckliche Zeit. Mutter und Vater waren sehr miteinander verbunden, und sie wurde nach seinem Tod mit manchen Dingen einfach nicht fertig. Konnte sie einfach nicht akzeptieren. Wir waren natürlich alle sehr erschüttert, aber was sie dann später über die Ereignisse erzählte, war alles so
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