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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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dass keine von uns überraschend länger arbeiten musste. Mein Krankenurlaub ging nämlich dem Ende zu.
    Ich lief am Fluss entlang, an den Schrebergärten vorbei, in denen Freizeitgärtner pflanzten und rechten, neuem Leben ans Licht halfen. Am vergangenen Sonntag hatte ich nach langer Pause mit Antti ein Haus besichtigt. Es stand in Saunalahti, mit brauchbarer Verkehrsverbindung zum Bahnhof von Kauklahti und zum Zentrum von Espoo, von wo ein Bus zum Flughafen fuhr. Im Garten wuchsen Beerensträucher und Apfelbäume, und das Gebäude selbst ähnelte dem Haus in Henttaa, in dem wir früher gewohnt hatten. Wir hatten beschlossen, ein Kaufangebot zu machen, wenn die noch nicht abgeschlossene Inspektion des Bauzustands zufrieden stellend ausfiel. Das Haus musste renoviert werden, aber Antti hatte im Sommer Zeit genug dazu. Vielleicht würde ich schon im nächsten Jahr meinen eigenen Garten pflegen.
    Am letzten Tag meines Genesungsurlaubs kam Leena zu Besuch. Sie ahnte wohl, dass ich Angst hatte, wieder zur Arbeit zu gehen, Freunde spüren so etwas. Als wir mit unseren Teetassen am Tisch saßen, holte sie tief Luft, als wollte sie mir etwas verkünden. Ich hätte nie erraten, was es war:
    »Tante Allu hat mir dreihunderttausend Euro hinterlassen.«
    »Wow! Dann kannst du ja endlich dein Sabbatjahr nehmen, oder auch zwei.«
    Leena lächelte. »Ich habe tatsächlich vor, zu kündigen und ein neues Leben zu beginnen. Ich habe nachgedacht, was Allu wohl von mir erwartet hätte, und gestern habe ich die Antwort gefunden. Ich gründe meine eigene Anwaltskanzlei für arme Leute, die sich eigentlich keinen Juristen leisten können.«
    Ich sah in ihre dunklen Augen, die vor Begeisterung glühten. Wir hatten uns während des Studiums angefreundet, weil wir beide dazu neigten, die Welt verbessern zu wollen. Wie hatte Kristian sich über uns lustig gemacht! Seiner Meinung nach wurde man nur Jurist, weil der Job so einträglich war.
    »Allein möchte ich das nicht machen«, fuhr Leena fort. »Ich brauche eine Partnerin. Und zwar dich.«
    »Ich habe keine Anwaltsbefugnis!«
    »Noch nicht, aber als juristische Beraterin hättest du genug zu tun. Maria, ich mache mir schon seit langem Sorgen um dich, und dann noch diese Geschichte … Du musst dein Leben ändern, bevor du völlig ausgebrannt bist. Ich fände es phantastisch, mit dir zusammenzuarbeiten. Dank Tante Allus Kapital können wir selbst über unsere Aufträge und unser Arbeitstempo bestimmen.«
    »Eine idealistisch-feministische Anwaltskanzlei?« Ich lächelte unwillkürlich. Davon hatten wir als Studentinnen geträumt, aber dann war Leena öffentliche Rechtshelferin und Kriminalanwältin geworden, und ich war zur Polizei zurückgekehrt.
    »Genau das. Wir nennen sie Allus Engel.«
    »Vielleicht doch lieber Allus Gänse. Ich muss darüber nachdenken und mit Antti reden. Wie viel Bedenkzeit gibst du mir?«
    »Soviel du brauchst.«
    Am Nachmittag des folgenden Tages stand ich vor dem Espooer Polizeigebäude. Der erste Arbeitstag lag hinter mir, ich hatte ihn leidlich überstanden. Mein Stellvertreter hatte mein Dezernat gelobt, meine Mitarbeiter hatten gesagt, sie hätten mich vermisst. Kaartamo hatte mich zum Kaffee eingeladen und berichtet, wir hätten »von ganz oben« ein Lob für die schnelle Aufklärung des komplizierten und delikaten Verbrechens erhalten. Im Präsidium kursierten bereits Gerüchte über Kaartamos Nachfolger, viele wetteten auf Taskinen, der bald nach Finnland zurückkehren würde. Das würde bedeuten, dass der Posten des Kripochefs frei wurde, und Kaartamo deutete an, der Polizeipräsident würde mich sehr gern in diesem Amt sehen. Ich fühlte mich dazu nicht berufen, es war eine reine Verwaltungsstelle. Ich hatte es lieber mit Menschen zu tun als mit Akten.
    Die Sonne schien, das Gras färbte sich allmählich grün und überzog die vom Winter geschundene Erde. Man konnte das Polizeigebäude nicht als schön bezeichnen, aber ich hatte mich im Lauf der Jahre an seinen Anblick gewöhnt. Ich dachte an meinen verstorbenen Kollegen Pertti Ström, dessen Absturz begonnen hatte, als nicht ihm, sondern mir die Leitung des Dezernats übertragen wurde. Das lag nun bereits sieben Jahre zurück. Meine Ernennung hatte mich in eine Tretmühle geführt, aus der mich niemand entlassen konnte, niemand außer mir selbst.
    Ich rief Leena an, aber ihr Handy war ausgeschaltet. Also schickte ich ihr eine SMS: »Wir sollten uns bald treffen und Allus Engel planen. Man lebt nur
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