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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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Lieber Leser,
    wer weiß, wann und warum dieses Buch in Ihre Hände kam. Vielleicht liegt Ihre Amerikareise noch in der Zukunft; vielleicht aber kennen Sie die Vereinigten Staaten schon längst und möchten nur kritisch prüfen, was ein anderer Pendler zwischen der Alten und der Neuen Welt über jenen alle europäischen Maßstäbe sprengenden Kontinent zu sagen hat. 
    Wir wollen aber der Einfachheit halber annehmen, daß Sie zum erstenmal im Flugzeug nach New York sitzen. Die Stewardeß hat Ihnen soeben die Formulare der Einwanderungs- und der Zollbehörde zum Ausfüllen überreicht, und Sie wundern sich vielleicht besonders über den tierischen Ernst der Zollerklärung. Haben Sie Früchte, Gemüse, staatsgefährdende Würste oder gar mehr als 10000 Dollar bei sich? Neue oder sogar kürzlich reparierte Effekten im Werte von über hundert Dollar? Waren Sie oder Ihre mitreisenden Familienangehörigen in den letzten dreißig Tagen auf einer Farm oder Ranch außerhalb der USA? Und erst jetzt erinnern Sie sich an dieses Buch, das Ihnen ein wohlmeinender Freund noch rasch als zusätzlichen, unerwünschten Reiseballast zugesteckt haben mag, und Sie fragen sich, ob es seinem Titel wenigstens teilweise gerecht werden und Ihnen als Gebrauchsanweisung für das Neue dienen kann, in das Sie in wenigen Stunden eintreten werden. Ich hoffe es.
    Zur unübersehbaren Literatur über Amerika möchte dieses Buch nur einen kleinen, praktischen Beitrag leisten, indem es gewisse Facetten des amerikanischen Alltagslebens aufzeigt, die der Europäer nicht notwendigerweise bereits kennt oder auch nur erwartet, obwohl so manche dieser Facetten sich bereits auch in Europa zu zeigen beginnen.
    Das Buch kann natürlich nicht vollständig sein; Sie werden darin so manches Ihnen persönlich wichtig Erscheinende vermissen, und nicht selten dürfte der von Ihnen festgestellte Einzelfall dem hier allgemein Beschriebenen widersprechen. Diese Unvollkommenheiten aber liegen in der Natur jeder allgemeinen Beschreibung. Und dazu noch ein weiterer Hinweis: Wo immer vom »Durchschnittsamerikaner« die Rede sein wird, handelt es sich um eine Abstraktion, die als solche ebensowenig in Fleisch und Blut existiert wie der Durchschnittseuropäer.
     

Amerika – Traum oder nichts?
     
    America... a design for the whole human race,
     the last and greatest of all human dreams – or  nothing.
    Fraticis Scott K. Fitzgerald
     
    Es dürfte kaum übertrieben sein zu sagen, daß sich im Erleben Amerikas für jeden Europäer in einem kleinen, persönlichen Maßstabe eines der beiden konträren Leitmotive der geschichtlichen Auseinandersetzung Europas mit der Neuen Welt wiederholt. Sie selbst, lieber Leser, werden wahrscheinlich keine Ausnahme sein. 
    Als Kolumbus 1492 in Hispaniola landete, war er überzeugt, vom Osten her – also in westlicher Richtung – an Asien herangekommen zu sein und damit die Richtigkeit seines Weltbildes praktisch bewiesen zu haben. Und obwohl es damals schon klar war, daß in diesem Falle entweder unser Erdball nur drei Viertel seines bereits errechneten Umfangs haben konnte oder die eurasische Landmasse fast doppelt so groß sein mußte, als man sie seit den Tagen Marco Polos kannte, erschütterten diese Widersprüche seine Überzeugung nicht im geringsten. Daran änderte sich für ihn auch dann nichts, als sich herausstellte, daß der neue Erdteil nicht nur nicht Westindien mit seinen fabelhaften Schätzen an Gold und Spezereien war, sondern im Gegenteil ein formidables  Hindernis auf dem Weg dorthin, eine gänzlich unvorhergesehene Barriere größten Ausmaßes, im Vergleich zu deren Überwindung der Weg um das Kap der Guten Hoffnung bei weitem das kleinere Übel war. Und wie wir Menschen nun einmal veranlagt sind, »löste« er den Konflikt zwischen dem, was der Fall war, und dem, was seiner Überzeugung nach der Fall zu sein hatte, indem er die nackten Tatsachen auf dem Altare seines Wunschdenkens opferte. Damit aber wurde er zum Stammvater aller Amerikafahrer,  die a priori  wissen, daß sie auf der anderen Seite des Atlantiks das fabelhafte Neue finden werden, und die dank dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiung schon in kürzester Zeit amerikanischer als die Amerikaner werden. 
    Auf Kolumbus’ Euphorie folgte der Katzenjammer. Von Gold war (noch) keine Spur; der neue Erdteil war wüst und leer; und die edlen Wilden waren nicht so edel, wie sie – europäischer Erwartung nach – hätten sein sollen. »Die Existenz
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