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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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man sie nicht. So wie das Magengeschwür von Tuulias Vater.«
    Musizieren half, ich spielte fast jeden Tag auf meinem Bass, und in der Woche vor dem ersten Mai ging ich sogar zur Probe von Söderholms Band, deren Musik ich mir vorher auf einem Demoband angehört hatte. Die Probe lief überraschend gut. Da bisher noch keine Auftritte vereinbart waren, hatte ich Zeit, die Songs gründlich zu üben. Zum Glück erwies sich der Polizeipunk als Stampfrock mit drei bis vier Griffen, die mir nicht allzu viel abverlangten.
    Am Vorabend des ersten Mai wurde den finnischen Arbeitern ein zusätzlicher Grund zum Feiern beschert: Der als Sanierer-Saarnio bekannte Geschäftsführer Arto Saarnio gab seinen sofortigen Rücktritt von allen beruflichen und ehrenamtlichen Verpflichtungen bekannt. Er hatte seinen Entschluss bereits nach dem Tod seiner Frau gefasst, aber gewartet, bis man einen neuen Geschäftsführer für die Firma Copperwood gefunden hatte. Einige Freunde von Länsimies hatten die Beziehung zwischen Saarnio und Oksana publik gemacht, um den Verdacht gegen Riitta Saarnio zu nähren. Die Auffassung, Sanierer-Saarnio sei das größte Schwein der Nation, erhielt dadurch neue Nahrung, andererseits trug ihm die Nachricht auch die Bewunderung einiger Männer ein. Oksana war aus Finnland ausgewiesen worden, und im Interview anlässlich seines Rücktritts sagte Saarnio, er werde in den nächsten Tagen eine Urlaubsreise in die Ukraine antreten.
    »Ab sofort bin ich nur noch Privatmann und brauche keine öffentlichen Kommentare zu meinem Leben mehr abzugeben«, sagte er zum Schluss. Ich vermutete, dass einige Jahre vergehen würden, bevor die Morddrohungen gegen ihn aufhörten.
    Anfang Mai entschied ich, dass ich endlich den Mut aufbringen musste, wieder allein zu joggen. Bis dahin war ich nur mit meiner Familie spazieren gegangen oder mit Anu Wang-Koivu und Leena gelaufen. Nun joggte ich zur Olarinkatu und von dort in den Zentralpark. Die jungen Birkenblätter gaben dem winterbraunen Wald neue Farbe, zwischen dem trockenen braunen Gras schoben sich grüne Spitzen hervor, und am Wegrand blühten die ersten Buschwindröschen. Eine Frau hatte ihr Nordic Walking unterbrochen, um sie zu betrachten. Ich schenkte ihr keine Beachtung und blieb erst stehen, als ich meinen Namen hörte:
    »Guten Tag, Kommissarin Kallio.«
    Es war Terhi Pihlaja, die Pastorin. Sie sah mich mit ernstem Gesicht an.
    »Wie geht es dir? Schön, dass du schon wieder joggen kannst.«
    »Zum ersten Mal seit … Du weißt schon. Es heißt doch immer, wenn man von einem Pferd abgeworfen wird, muss man sofort wieder in den Sattel steigen, wenn die Folgen des Sturzes verheilt sind. Ich versuche heute etwas Ähnliches.«
    Terhi nickte. »Wenn ich über etwas sprechen darf, was deinen Beruf betrifft …«
    »Nur zu.«
    »Ich war auf Lillis Beerdigung. Ich glaube, es war für alle Trauergäste eine gewaltige Erleichterung, dass der Mord aufgeklärt wurde, bevor wir Lilli zur letzten Ruhe gebettet haben. Selbst die schlimmste Wahrheit ist besser als Ungewissheit. Die arme Lilli, es war für ihre Eltern ein großer Trost, dass sie versucht hat, dem anderen Mädchen zu helfen, und nicht nur herzlos auf ihren eigenen Vorteil bedacht war. Wie habe ich Lilli damals in der Schule gehasst! Ich habe Gott gebeten, mich von diesem Hass zu befreien, aber allmählich ist mir klar geworden, dass es nicht seine, sondern meine Aufgabe ist.«
    Ich hatte mir erlaubt, Ilari Länsimies zu hassen, und dieser Hass hatte sich noch nicht abgeschwächt. Ich wusste, dass seine Tat mich begleiten würde, genau wie er es gewollt hatte. Das war vielleicht der Hauptgrund für meinen Hass, mehr noch als die eigentliche Vergewaltigung: Länsimies hatte mich mit seiner Tat innerlich zerbrechen wollen.
    »Ich habe um Kraft für dich gebetet. Hoffentlich verletzt dich das nicht.« Terhis Gesicht war immer noch ernst. Ich lächelte sie an.
    »Nein. Allerdings habe ich Angst vor Pastoren«, gestand ich.
    »Warum denn?«
    »Aus demselben Grund, aus dem manche Angst vor Polizisten haben. Ich glaube, dass ihr meine geheimsten Gedanken und meine schändlichsten Taten erkennen könnt.« Ich war selbst überrascht von meinen Worten und versuchte meine Verlegenheit durch Lachen zu verbergen. »Aber … hättest du Lust, gelegentlich mit mir spazieren zu gehen und mir bei der Überwindung meiner Pastorenphobie zu helfen?«
    Nun lachte auch Terhi. Wir verabredeten uns für den nächsten Donnerstag, vorausgesetzt,
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