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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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Alkoholsteuer hatte zu einem Anstieg der Gewaltdelikte geführt, bei der Drogenkriminalität sah es noch schlimmer aus, aber nur für die Aufklärung von Wirtschaftsverbrechen wurden mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt. Geld war den Verantwortlichen wichtiger als das Wohlergehen der Menschen.
    Ich streckte mich auf der Fensterseite des Doppelbetts aus. Anttis Hälfte war leer. Wegen seines Forschungsauftrags in Vaasa war er schon seit längerem zwei Nächte pro Woche nicht zu Hause, und in letzter Zeit dehnte sich sein Aufenthalt in Vaasa immer länger aus. Das Forschungsprojekt befand sich in einer interessanten Phase, außerdem hatte er immer wieder Kongressvorträge zu halten. Die Pilotstudie der Universität Vaasa hatte internationales Aufsehen erregt. Eine Forschergruppe am Institut für Wirtschaftswissenschaft versuchte, ein Modell über die langfristigen Auswirkungen der Globalisierung auf die finnische und die Weltwirtschaft zu erarbeiten, wobei verschiedene Steuer- und Zollsysteme verglichen wurden. Obwohl Antti sich eigentlich auf die Kategorientheorie spezialisiert hatte, empfand er die angewandte Mathematik als angenehme Abwechslung. Er hatte das Gefühl, eine wichtige Arbeit zu leisten, denn die Resultate konnten genutzt werden, um eine gerechtere Verteilung des weltweiten Kapitalflusses zu erreichen. Aber so sinnvoll seine Aufgabe auch war, vor Heimweh schützte sie ihn nicht.
    Als ich endlich einschlief, träumte ich von Julia Roberts und der misshandelten Frau im Schnee. Irgendwann spürte ich, wie Venjamin an meinen Zehen kaute, die unter der Bettdecke hervorlugten.
    Um sieben zwang mich der Wecker zum Aufstehen. Ich brachte den vierjährigen Taneli in die Kita und begleitete Iida und ihre Freundin Saara, die in die zweite Klasse gingen, zur Schule, denn auf dem Weg dorthin gab es zwei gefährliche Kreuzungen. Außerdem tat es mir gut, ein Stück zu Fuß zu gehen. Es war fast Mitte März, aber immer noch winterlich. Selbst die Nachmittagssonne trieb die Temperatur nicht über den Gefrierpunkt, und es lag noch genug Schnee zum Skilaufen.
    Der Besprechungsraum im Präsidium bot den gewohnten Anblick. Ursula war perfekt geschminkt, Puustjärvi stürmte in letzter Minute herein, weil er im Stau stecken geblieben war wie jeden Morgen. Zum x-ten Mal fragte ich mich, warum er nicht einfach fünf Minuten früher losfuhr. Koivu sagte gähnend, er habe im Pausenraum ein paar Stunden geschlafen. Puupponen biss in einen Berliner. Er verdrückte täglich Unmengen von fetttriefenden Speisen und nahm trotzdem kein Gramm zu. Autio trug einen neuen Schlips, dessen blaue Streifen gut zum braunen Anzug passten.
    »Ursula, du übernimmst die Familie Janatuinen und sprichst mit dem Sozialamt über die Möglichkeit, die Kinder in Obhut zu nehmen. Koivu, was ist mit der Frau in der Klinik? Nennen wir sie vorläufig Frau X. Hast du einen Dolmetscher organisiert?«
    »Sieht schlecht aus. Von den zwei Dolmetschern für Russisch ist der eine krankgeschrieben und der andere leihweise in Vantaa. Vielleicht probier ich es mit Englisch oder bitte in der Klinik um Amtshilfe. Vermutlich muss ich den Fall übernehmen, oder?«
    Ich lächelte. Sprachkenntnisse waren nicht unbedingt Koivus starke Seite.
    »Hier sind übrigens ein paar Fotos.« Koivu schaltete den Computer ein. Puupponen legte seinen zweiten Berliner beiseite, denn gleich die erste Aufnahme zeigte ein weibliches Geschlechtsorgan mit einer bis zum Anus reichenden Schnittwunde. Auch an beiden Brüsten hatte die Frau tiefe Wunden, und im Gesicht zog sich ein Schnitt vom rechten Auge bis zum Mundwinkel. Ich bemühte mich, die Bilder kühl und aufmerksam zu betrachten, obwohl es in meinem Körper unangenehm kribbelte.
    »Ein Linkshänder«, sagte Puupponen spontan, aber ich war mir dessen nicht so sicher. Möglicherweise hatte der Täter ja hinter seinem Opfer gestanden. Puupponen neigte zu übereilten Schlussfolgerungen und benahm sich oft wie ein kleiner Junge. Seine Manie, über alles und jedes Witze zu reißen, hatte sich in letzter Zeit allerdings gelegt; manchmal vermisste ich seine Kalauer sogar.
    Die Frau war zierlich und, soweit man aus den Fotos schließen konnte, höchstens zwanzig. Alle Verletzungen befanden sich an der vorderen Körperhälfte.
    »So hat der Fundort ausgesehen«, fuhr Koivu fort. »Gestern herrschte ziemlich starker Frost. Der Schnee war verharscht, Fußspuren waren deshalb kaum zu finden. Die Streifenbeamten, die vor Ort waren, meinen, dass
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