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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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Zentrum von Espoo aufgefunden wurde. Die Frau ist ca. 170 cm groß, schlank, blond und braunäugig. Sie trug einen langen blaugrauen Chinchillamantel und schwarze Stiefel mit hohen Absätzen. Wer Angaben zur Identität der Frau machen kann, wird gebeten, sich mit der Espooer Polizei in Verbindung zu setzen.« Den Abschluss bildete die Telefonnummer des Präsidiums.
    Ich quittierte die Mitteilung und ging zum Mittagessen. Pelzmantel und Stiefel lösten so eindeutige Assoziationen aus, dass die Medien sich für den Fall interessieren würden. Vielleicht schaffte es ein Journalist, Oksana zum Reden zu bringen. Bargeld war oft erfolgreicher als die Polizei, zumal Oksana sich mit Geld vielleicht Schutz erkaufen konnte.
    Der Nachmittag verstrich in einer Sitzung der Koordinationsgruppe für die Hauptstadtregion, von der ich nichts mehr im Gedächtnis hatte, als ich zur Kita fuhr. Unterwegs rief ich Koivu an, um mich nach der Vernehmung der Frau zu erkundigen, die Oksana gefunden hatte, hörte aber nur das Besetztzeichen. Ich hoffte, die Pressemitteilung würde uns weiterbringen. Ich holte zuerst Taneli ab, dann Iida, die nachmittags in der Familie ihrer Schulfreundin betreut wurde. Damit hatten wir Riesenglück gehabt, denn ohne diese Lösung hätten wir unsere Achtjährige stundenlang allein zu Hause lassen müssen. Zwar war vor kurzem ein Gesetz über die kommunale Nachmittagsbetreuung in Kraft getreten, doch das System funktionierte noch nicht. Stattdessen wurde mittlerweile sogar gefordert, das subjektive Recht auf einen Kindergarten- oder Hortplatz abzuschaffen. Dabei war es für manche Kinder bestimmt besser, den Tag in einer Kita zu verbringen als in der Gesellschaft ihrer betrunkenen Eltern. Unsere Stammkunden, die Janatuinens, waren ein Paradebeispiel. In der Tagesstätte bekamen die Kinder wenigstens Frühstück und Mittagessen.
    Wir aßen in aller Eile, denn wir mussten noch nach Matinkylä, wo Iidas Eiskunstlaufgruppe zweimal wöchentlich trainierte. Unser armes Kätzchen blieb wieder allein zu Hause. Während Iida trainierte, vertrieben Taneli und ich uns die Zeit in der Bibliothek, die im Einkaufszentrum Big Apple untergebracht war. Die Umgebung hatte sich unglaublich verändert, seit ich vor neun Jahren in Matinkylä den Mord an der Eiskunstläuferin Noora Nieminen aufgeklärt hatte. Espoo glich einem Puzzle, das nie fertig wurde, weil immer wieder neue Teilchen auftauchten, die nicht ins Bild passten. Antti hatte vorgeschlagen, gegen den Strom zu schwimmen und aus der Hauptstadtregion in die Umgebung von Vaasa zu ziehen. Ab und zu überlegte ich, wie es wäre, dort als Dorfpolizistin im schwedischsprachigen Küstengebiet zu arbeiten. Da die Finnlandschweden einander nicht umzubringen pflegten, würde ich mich da hauptsächlich mit Anschlägen auf Pelztierfarmen beschäftigen müssen. Diese Aussicht erschien mir nicht besonders verlockend.
    Trotz der grauenvollen Erinnerung an Noora Nieminens Tod hatte ich Iidas Begeisterung für den Eiskunstlauf begrüßt. Zu meiner Überraschung hatte auch Taneli Schlittschuhe gewollt und schien viel schneller zu lernen als Iida. Ich wusste, wie viel Zeit und Geld der Eissport verschlang, wenn man ihn ernsthaft betrieb, aber ich wollte meinen Kindern nicht die Freude verderben. Zum Glück brauchten sie in ihrem Alter noch nicht an Wettkämpfen teilzunehmen.
    Als wir zur Eishalle zurückgingen, klingelte mein Handy. Die angezeigte Nummer war mir unbekannt.
    »Krankenschwester Mirja Helin, chirurgische Abteilung der Klinik Jorvi, guten Abend. Sie hatten gebeten, informiert zu werden, wenn im Zustand der unbekannten Frau, die mit Schnittwunden bei uns liegt, eine Veränderung eintritt.«
    »Ja«, sagte ich, obwohl ich gebeten hatte, den Diensthabenden im Präsidium zu benachrichtigen, nicht mich persönlich.
    »Na, jetzt hat sich etwas verändert. Sie ist abgängig.«
    »Was?«
    »Spurlos verschwunden. Als wir ihr die Medikamente bringen wollten, die sie abends nehmen muss, war das Bett leer. Sie hat die Stiefel und den Mantel über die Klinikkleidung gezogen und den Tropf herausgerissen. Wir haben keine Ahnung, wo sie steckt.«

ZWEI
     
    Nun mussten die Pressemitteilung aktualisiert und Oksanas Personenbeschreibung an alle Streifenwagen durchgegeben werden. Ihrer Mitpatientin zufolge war Oksana mit dem Infusionsgestell auf den Flur gegangen, um sich die Beine zu vertreten. Dann war sie plötzlich zurückgekommen, hatte hastig den Mantel aus dem Schrank geholt und war
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