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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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verschwunden. Den Infusionsschlauch hatte man vor dem Aufzug gefunden. In der Klinik war immer jemand auf dem Gang unterwegs, irgendjemandem musste die Frau mit dem Kopfverband und dem dicken, blutbefleckten Pelzmantel aufgefallen sein.
    Am nächsten Morgen stand die Vermisstenmeldung in der Zeitung, und als ich zur Arbeit fuhr, hörte ich sie auch im Radio. Bis zum Frühlingsanfang waren es nur noch knapp zwei Wochen, daher war es morgens nicht mehr so dunkel, und das Aufstehen fiel mir leichter.
    »Taxi- und Busfahrer wurden befragt, aber niemand hat die Frau gesehen«, sagte Koivu bei der Morgenbesprechung. »Vermutlich hat sie das Klinikgelände in einem Privatfahrzeug verlassen.«
    »Da bleibt uns wohl nichts übrig, als zu warten«, meinte Puustjärvi. »Vielleicht bringt uns die Pressemitteilung weiter.«
    Puustjärvi war der Geduldigste in unserem Team, er trainierte seine Gelassenheit unter anderem beim Go-Spiel und beim Fliegenbinden. Außerdem machten er und seine Frau Yoga, was er auch uns wärmstens empfahl. Die Vorstellung, dass der blonde, stämmige Puustjärvi sich zu diversen Asanas verrenkte, hatte etwas Komisches. Offenbar war er vielschichtiger, als er zu erkennen gab.
    Noch weniger als ihn kannte ich Autio, obwohl wir seit fast drei Jahren zusammenarbeiteten. Für ihn war der korrekte Anzug eine Maskerade, hinter der er sich verbarg. Er kam mit jedem aus, war aber mit niemandem befreundet. Ursulas gelegentliche Versuche, mit ihm zu flirten, ignorierte er souverän, was Ursula ganz offensichtlich nervte. Sie war eine der Frauen, die zwanghaft versuchen, jeden Mann herumzukriegen, nur so zum Spaß. Anfangs hatte ich mich darüber geärgert, aber inzwischen fand ich ihre Marotte nur noch lächerlich.
    Bisher hatten wir nur wenige Hinweise erhalten, und keiner davon war brauchbar. Eine Frau in Kirkkonummi war fest davon überzeugt, dass es sich bei der Vermissten um ihre Nachbarin handelte; diese jedoch saß kerngesund an ihrem Arbeitsplatz. Ein Betrunkener hatte angerufen und gelallt, er habe in Estland mit einer Nutte namens Oksana geschlafen. Die weiteren Hinweise waren noch absurder, und die Beratungsstelle für Prostituierte kannte keine Oksana. Allerdings versprachen die Mitarbeiterinnen, sich unter ihren Klientinnen umzuhören.
    Nach Auskunft der Ärzte war Oksanas Gesundheitszustand nicht lebensbedrohlich, doch wenn die Wunden nicht versorgt würden, könnten sie sich entzünden. Ich beauftragte Koivu, weiter die Liste der Oksanas in Finnland abzuarbeiten und das Einreiseregister der letzten Wochen zu überprüfen, denn viele Sexarbeiterinnen kamen mit einem Dreimonatsvisum.
    Mit der Staatsanwältin Katri Reponen besprach ich einen Vergewaltigungsfall, der in nächster Zeit vor Gericht kommen sollte, dann war es auch schon Zeit fürs Mittagessen. Da Katri in Eile war, begnügten wir uns mit der Kantine. Es tat richtig gut, mal wieder mit ihr zu plaudern. In der Kriminalabteilung der Staatsanwaltschaft wurde eine Stelle frei, und Katri meinte, ich sollte mich unbedingt bewerben.
    »Du wirkst seit einiger Zeit so ausgelaugt, ein neuer Job würde dir gut tun. Übrigens planen Leena und ich ein Wellness-Wochenende in einem Spa-Hotel. Komm doch mit!«
    Über den zweiten Vorschlag versprach ich nachzudenken, aber als ich auf dem Flur Kaartamo begegnete, fand ich auch den ersten gar nicht mehr so abwegig.
    »Wir haben heute früh bei der Chefbesprechung deinen weiblichen Charme vermisst«, rempelte er mich an. »Wenn Taskinen nicht dabei ist, hast du offenbar kein Interesse an unseren Sitzungen.«
    »Ich musste an unserer Dezernatsbesprechung teilnehmen, wir haben gerade einen ziemlich komplizierten Fall«, antwortete ich ausweichend.
    »Die Schlampe, die aus der Klinik verschwunden ist? Eine Russenhure weniger, was soll’s«, knurrte Kaartamo. »Davon gibt’s genug. Lohnt sich nicht, dafür seine Zeit zu verschwenden.«
    »Bisher wissen wir weder, ob die Frau Russin ist, noch ob sie als Prostituierte arbeitet. Und es geht nun mal nicht, dass Leute einfach so aus Krankenhäusern verschwinden.«
    »Ist sie nicht freiwillig abgehauen? Hat sich unten nähen lassen und ist gegangen. Vergiss es.«
    »Woher weißt du, welche Verletzungen sie hatte? Das Protokoll über die Voruntersuchung ist meines Wissens noch gar nicht fertig.«
    »Es spricht sich eben rum, wenn die Jungs bestimmte Fotos als Untersuchungsmaterial begutachten dürfen. Mann ist Mann, Kallio, so viel müsstest du inzwischen doch gelernt
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