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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Autoren: Ian Morris
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chinesischen Gouverneur nach London brachte. Die echte
Qiying
war vielmehr eine fröhlich bunt bemalte Holzdschunke. Englische Geschäftsleute, die sich in der Kronkolonie Hongkong niedergelassen hatten, hatten das kleine Schiff vor Jahren erstanden und hielten es für eine lustige Idee, es nun zurück in ihre alte Heimat zu schicken.
    Königin Victoria, Prinz Albert und der Herzog von Wellington kamen tatsächlich zur Themse, allerdings nicht, um vor ihren neuen Herren einen Kotau zu machen, sondern sozusagen als Gaffer, die sich den Anblick des ersten chinesischen Schiffs in England nicht entgehen lassen wollten.
    Das Schiff war auch tatsächlich nach dem Gouverneur von Guangzhou benannt. Aber Qiying hatte 1842 weder die Königliche Kriegsflotte versenkt noch war er gekommen, um die Unterwerfungserklärung der britischen Regierung entgegenzunehmen. Vielmehr führte er in diesem Jahr Kapitulationsverhandlungen für China, nachdem ein kleines britisches Geschwader jede Kriegsdschunke versenkt hatte, derer sie ansichtig wurde, und die Briten die Küstenbatterien zum Schweigen gebracht sowie den Kaiserkanal, der Beijing mit dem fruchtbaren Mündungsgebiet des Jangtse verbindet, dicht gemacht hatten, sodass die Hauptstadt von einer Hungersnot bedroht war.
    Und China wurde im Jahr 1848 tatsächlich von Kaiser Daoguang regiert. Aber Daoguang veranlasste keineswegs, dass Victoria und Albert auseinandergerissen wurden: Die beiden führten ein glückliches und zufriedenes, nur durch die gelegentlichen Launen der Königin getrübtes Eheleben, bis Albert 1861 das Zeitliche segnete. In Wahrheit war es Daoguang, der von Victoria und Albert vernichtet wurde.
    Die Historie schreibt oft Geschichten, die merkwürdiger sind als die kühnste Fiktion. Victorias Landsleute unterjochten Daoguang und zerschlugen sein Reich wegen der größten aller englischen Schwächen – wegen einer Tasse Tee (oder, um es genauer zu sagen, wegen ein paar Milliarden Tassen Tee). In den 1790er Jahren, als die Britische Ostindiengesellschaft weite Teile Südasiens wie ein Privatlehen beherrschte, wurden pro Jahr rund 20 Millionen Pfund Teeblätter von China nach England verschifft. Die Gewinne waren gewaltig, nur eine Sache bereitete dem Unternehmen Kopfzerbrechen: Die chinesische Regierung wollte im Gegenzug |15| partout keine Güter aus britischen Manufakturen importieren. Sie war an nichts anderem interessiert als an Silber, und die Ostindiengesellschaft hatte Schwierigkeiten, genug davon aufzutreiben, um die Handelsgeschäfte in Schwung zu halten. So war die Freude bei den britischen Händlern groß, als sie feststellten, dass zwischen dem, was der Kaiser wollte, und dem, was seine Untertanen wollten, ein himmelweiter Unterschied war. Das Volk wollte nur eines: Opium. Und das beste Opium kam aus Indien, einem Land, das ebenfalls zum Herrschaftsbereich des Unternehmens gehörte. In Guangzhou – dem einzigen chinesischen Hafen, der ausländischen Händlern offen stand – tauschten Geschäftsleute Opium gegen Silber und benutzten das Silber als Zahlungsmittel für den Tee, den sie dann in London mit noch größerem Gewinn verkauften.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 0.1: Die echte
Qiying Londoner rudern 1848 in Scharen hinaus, um das Schiff zu bestaunen, im Bild festgehalten von einem Zeichner der
Illustrated London News
.
    Doch wie so oft im Geschäftsleben zog auch hier die Lösung des einen Problems auf direktem Wege das nächste nach sich. Inder pflegten das Opium zu essen, Engländer tranken es in Flüssigkeit aufgelöst und brachten es so auf einen jährlichen Konsum von 20 Tonnen (von denen einige als Beruhigungsmittel für Säuglinge und Kleinkinder Verwendung fanden). Gegessen wie getrunken hatte das Opium eine leicht berauschende Wirkung, gerade genug, um den einen oder anderen Poeten zu beflügeln und ein paar adelige Wüstlinge zu neuen Taten zu inspirieren, aber nichts, worum man sich Sorgen hätte machen müssen. Die Chinesen allerdings pflegten das Opium zu rauchen. Die Wirkung ist ungleich |16| stärker; es ist, als würde man Crackrauchen mit dem Kauen von Cocablättern vergleichen. Die britischen Dealer sahen großzügig über diesen Unterschied hinweg, aber nicht so Kaiser Daoguang. 1839 erklärte er dem Drogenhandel den Krieg.
    Es war ein eigenartiger Krieg, der bald in eine Privatfehde zwischen Daoguangs Sonderkommissar Lin Zexu und dem britischen Handelsinspektor Kapitän Charles Elliot ausartete. Als Elliot merkte, dass ihm die
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