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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Autoren: Ian Morris
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Felle davonschwammen, überredete er die Händler, Lins Forderung Folge zu leisten und ihm 22   000 Kisten Opium mit einem Gesamtgewicht von rund 1500 Tonnen auszuhändigen. Die Händler willigten ein, als Elliot ihnen eine großzügige Entschädigung durch den britischen Staat zusagte, auch wenn sie nicht wussten, ob der Handelsinspektor dazu überhaupt befugt war. Lin bekam sein Opium, das er dann verbrennen und ins Meer spülen ließ, Elliot wahrte sein Gesicht, der Teehandel konnte fortgeführt werden, und die Kaufleute erhielten ein schönes Sümmchen (plus Zinsen und Frachtkosten) als Entschädigung für die verlorenen Drogen. Alle hatten gewonnen.
    Das heißt, alle außer Lord Melbourne, dem Premierminister des Vereinigten Königreichs. Er, der nun Entschädigungssummen in Höhe von zwei Millionen Pfund an die Drogenhändler aufbringen sollte, war
nicht
unter den Gewinnern. Normalerweise hätte ein einfacher Marinekapitän wahnsinnig sein müssen, einen Premierminister in eine solche Zwangslage zu bringen, aber Elliot kannte den Einfluss der Kaufleute auf das britische Parlament und wusste, dass es ihnen gelingen würde, dessen Zustimmung zu den Entschädigungszahlungen zu erzwingen. Und so kam es, dass sich das Gespinst aus persönlichen, politischen und finanziellen Interessen immer enger um Lord Melbourne zusammenzog, bis ihm nichts anderes mehr übrig blieb, als zu bezahlen und anschließend einen Flottenverband zu entsenden, der dafür sorgen sollte, dass die chinesische Regierung den durch die Beschlagnahme des Opiums entstandenen Schaden wiedergutmachte.
    Es war kein rühmlicher Tag für das Vereinigte Königreich. Vergleiche mit zeitgenössischen Ereignissen müssen zwangsläufig hinken, aber es war ungefähr so, als würde das Drogenkartell von Tijuana die mexikanische Regierung dazu bringen, als Vergeltung für einen Schlag der US-Behörde zur Drogenbekämpfung eine schwer bewaffnete, um sich schießende Truppe nach San Diego zu schicken und vom Weißen Haus zu verlangen, dass es den Drogenbaronen den Verkaufswert des beschlagnahmten Kokains (plus Zinsen und Transportkosten) ersetzt und überdies die Kosten der Militäraktion übernimmt. Und man stelle sich außerdem vor, ein mexikanischer Flottenverband würde, weil er schon einmal vor Ort ist, die Insel Santa Catalina vor der Küste Kaliforniens als Basis für künftige Operationen annektieren und Washington eine Blockade androhen, sofern dem Tijuana-Kartell kein Handelsmonopol für den Verkauf seiner Ware in Los Angeles, Chicago und New York gewährt wird.
    Der Unterschied ist natürlich, dass Mexiko nicht in der Lage wäre, San Diego zu bombardieren, während Großbritannien 1839 tun und lassen konnte, was immer |17| es wollte. Die britischen Kriegsschiffe überwanden Chinas Verteidigungslinien mühelos, und Qiying unterzeichnete drei Jahre später einen demütigenden Vertrag, der ausländischen Händlern und Missionaren in China Tür und Tor öffnete. Daoguangs Ehefrauen wurden nicht nach London verschleppt wie Albert in der fiktiven Geschichte am Anfang dieses Buches nach Beijing, doch der »Opiumkrieg« brach dem Kaiser das Genick. Er hatte 300 Millionen Untertanen enttäuscht und eine zweitausendjährige Tradition gebrochen. Und er fühlte sich zu Recht als Versager. Das Chinesische Reich zerfiel, Opiumsucht und Sittenverfall griffen um sich, der Staat verlor seine Macht.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 0.2: Kein rühmlicher Tag
1842 zerstören britische Schiffe Kriegsdschunken auf dem Jangtse. Rechts im Bild die
Nemesis
, das erste ganz aus Eisen gebaute Panzerschiff der Welt, das hier seinem Namen alle Ehre macht.
    In diese aus den Fugen geratene Welt trat ein glückloser Beamtenanwärter namens Hong Xiuquan, der in der Nähe von Guangzhou aufgewachsen war. Viermal war er in die Stadt gereist, um die schweren Beamtenprüfungen abzulegen, und viermal war er durchgefallen. 1843 dann, nach dem vierten gescheiterten Anlauf, erlitt er einen Nervenzusammenbruch und musste in sein Dorf zurückgetragen werden. In seinen Fieberträumen erschienen ihm Engel, die mit ihm in den Himmel entschwebten. Hier begegnete er einem Mann, der ihm als sein älterer Bruder vorgestellt wurde und mit dem er nun Seite an Seite unter den Augen ihres rauschebärtigen Vaters gegen Teufel und Dämonen kämpfte.
    Kein Nachbar im Dorf konnte Hongs Traum deuten, und so dachte er jahrelang nicht mehr daran, bis er eines Tages ein Büchlein aufschlug, das ihm jemand |18| in
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